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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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gleich, wo das Theater sein Haus aufschlug, alles war immer genauso wie beim letzten Mal und bei allen Malen davor. Manchmal standen sie auf einem Hutanger, manchmal auf einer Lichtung im Wald, dann wieder an einem Flussufer oder an die Flanke eines Berges geschmiegt, aber das Theater war immer auf die gleiche Art und Weise aufgebaut, die Wagen standen immer an der gleichen Stelle, jeder tat das, was er immer tat.
    Das war heute nicht anders, aber diesmal fühlte es sich trotzdem anders an. Vielleicht lag das an all den fremden Geräuschen rundum. Jetzt stand die vertraute Wagenburg in der Residenz, und sie konnte über dem Getriebe des Theaters die Geräusche hören, die eine Vielzahl von Menschen, Fahrzeugen und Tieren verursachten, die auf einem Fleck versammelt waren. Pferde und Ziegen und Hühner konnte sie hören. Das Rollen von Karrenrädern und Hufschlag auf hartem Pflaster. Schritte und Stimmen, Rumpeln und Türenschlagen, Rufe und Kinderlärm, jemand hämmerte und ein anderer fluchte, eine Glocke schlug und irgendetwas Großes ging scheppernd zu Bruch.
    Das Theater stand am Rande der Stadt, aber rundum waren Häuser und Gassen und Menschen. Das war so ungewohnt, dass Pippa sich beinahe so eingesperrt fühlte wie in einem von Lorenzos Zauberkästen. Das Flussufer mit den Bäumen, an dem sie vorhin mit August gesprochen hatte, war der einzige Ort, an dem sie frei atmen konnte und nicht dieses enge Band um die Brust fühlte.
    Sie zwang sich, tief zu atmen und die Schultern zuentspannen, den Kopf zu heben und sich zu sagen: Da ist nichts, was auf deinen Kopf drückt oder deine Beine einzwängt, Philippa. Du kannst gehen und sehen und dich drehen und laufen, wenn du willst. Stell dich nicht so an!
    »Auf jetzt«, sagte sie laut und klopfte die Hände an ihrer Schürze ab. Zur Probe. Sie war schließlich nicht weniger mutig als August. Und Lorenzo war nicht das alte Weißgesicht.
    Pippa ging an Demetrios und Lysander vorüber, die sich gegenseitig bunte Keulen zuwarfen, sie fingen und wieder zurückwarfen und immer laut lachten und sich scherzhaft beschimpften, wenn einer von ihnen eine Keule fallen ließ. Beide waren keine wirklich guten Jongleure, aber die Kinder liebten es, wenn die großen »Pferde« zu jonglieren begannen oder auf einer Konzertina und einer Pfennigflöte eine quietschende, scheppernde Polka anstimmten. Pippa rief einen Gruß, und Demetrios, der zu ihr hinsah, verpasste eine rotgelbe Keule, die ihn an der Schulter traf. »Autsch«, sagte er vergnügt und winkte Pippa zu.
    Lysander, der ernstere der beiden Brüder, schnitt eine finstere Miene und schimpfte halblaut, aber er zwinkerte Pippa dabei zu.
    Demetrios komponierte wunderschöne traurige Balladen oder fröhliche Tanzweisen, und Lysander bemalte Kulissen so kunstvoll und täuschend echt, dass man sie anfassen musste, um zu erkennen, dass sie aus Leinwand und dünnem Holz gefertigt waren und nicht ausMarmor oder rauem Felsgestein. Die beiden Zentauren waren freundlich und gutmütig, und deshalb konnte Lorenzo sie auch nicht leiden.
    Der Bühneneingang und die Seitenbühnen standen voller Requisiten und Möbelstücke. Der Prinzipal wollte ihren Aufenthalt in der Residenz nutzen, um all die Stücke aufzuführen, die das Theater in seinem Repertoire hatte. Das bedeutete viel Arbeit für die Bühnenarbeiter und die Garderobieren und all die Leute, die sich um Requisiten und Möbel kümmern mussten. Die Schauspieler stöhnten, weil sie alle Texte erneut memorieren mussten, Mama Josefina schimpfte, weil sie und ihre Näherinnen die meisten der Kostüme zu flicken und ändern und eine Menge neu anzufertigen hatten, die Musiker ächzten und probten sämtliche Partituren, die sie finden konnten – das ganze Theater schwirrte vor Ächzen, Stöhnen und Betriebsamkeit.
    Lorenzo hatte sich in den Kopf gesetzt, die »Durchbohrte Jungfrau« an jedem Nachmittag aufzuführen. Er war unzufrieden damit, wie Pippa ihren Part erfüllte, und wollte die Nummer nun so lange proben, bis alles zu seiner Zufriedenheit ablief. Pippa hatte ihn erneut gebeten, hierfür Marie-Belle anzulernen, aber ihr Vater wollte nicht auf sie hören. Aber wann wollte er das je?
    Sie bahnte sich ihren Weg zwischen all dem Zeug hindurch und schob sich durch den hinteren Vorhang auf die Bühne. Ihre Requisiten waren schon aufgebaut, dort stand der Kasten mit den Schlitzen und dort der Korb mit den Schwertern. Pippa verzog das Gesicht.
    Sie hörte, wie jemand mit lauten Schritten durch

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