Das gefrorene Licht. Island-Krimi
wären hinreißend, wenn Guðný allein darauf zu sehen wäre. Aber das war nicht der Fall. Rechts und links von ihr hatte sich jeweils ein junger Mann postiert, mit kerzengeradem Rücken und ernstem Gesicht. Nicht die lächerlichen Posen der Burschen machten die Bilder sonderbar, sondern ihre Kleidung. Beide trugen sehr schlichte dunkle Hosen, weiße Hemden sowie Oberarmbinden mit Hakenkreuzen. Sie hatten merkwürdige Gürtel mit Schulterriemen an, und einer hielt eine Fahnenstange in der Hand. Die Fahne wehte nicht im Wind, sondern hing schlaff herunter, dennoch erkannte man sie als Naziflagge, denn oben auf der Stange trohnte das Hakenkreuz, auf das Dóra in der ersten Kiste gestoßen war, und die Hülse diente offenbar zur Befestigung an der Stange. Die Namen der Männer standen nicht auf den Rückseiten der Fotos, nur die Jahreszahl und Guðnýs Name.
Weitere Bilder gab es nicht; am Ende des Albums waren drei Seiten leer geblieben. Von der Ersten war offenbar ein Foto entfernt worden, denn eine dunkle Stelle fiel ins Auge, und die kleinen Fotoecken klebten noch auf der Seite. Dóra schüttelte das Album ein wenig, falls jemand das Foto lose hineingesteckt hatte, aber vergeblich. Dóra legte das Album beiseite und stand auf. Das Licht in dem dunklen Keller war so trüb, dass sie die Fotos lieber in ihrem Zimmer genauer anschauen wollte. Außerdem musste sie Jónas fragen, ob es sich bei einem der Mädchen aus dem Album um den Geist handelte. Die Stufen der nach oben führenden Holztreppe knarrten so laut, dass Dóra froh war, nicht übergewichtig zu sein. Im Erdgeschoss angekommen, holte sie tief Luft, froh dem feuchten Geruch entflohen zu sein. Anschließend steuerte sie auf die Empfangshalle zu.
Draußen vor dem Flurfenster sah sie Sóldís, das Mädchen, das sie gestern zu ihrem Zimmer gebracht hatte. Sie lehnte an der Hauswand und rauchte. Dóra beschloss, einen Umweg zu machen und sie noch einmal auf die Geschichten anzusprechen, die sich angeblich um das Grundstück und das Haus rankten.
»Hallo! Sóldís!«
Das Mädchen drehte sich um. Ihr Gesicht war ausdruckslos, und Dóra konnte nicht ausmachen, ob sie froh oder genervt war, sie wiederzusehen. Immerhin suchte sie nicht das Weite. »Ja?«
»Hi, erinnerst du dich nicht an mich?«
»Doch, doch. Du bist Gast hier. Eine Bekannte von Jónas.«
»Genau.« Dóra lächelte freundlich. »Hör mal, du hast doch gestern alte Geschichten über diesen Ort erwähnt und gesagt, du könntest mir mehr darüber erzählen. Jetzt würde es mir gut passen.«
Das Mädchen runzelte die Stirn und vermied es, Dóra in die Augen zu schauen. »Ich muss weiterarbeiten.«
»Es wäre hilfreich für Jónas. Ich versuche, ihn zu unterstützen, und auch wenn das unwahrscheinlich klingt, könnten mir die Geschichten über diesen Ort dabei helfen.«
Das Mädchen zögerte und zuckte dann gleichgültig mit den Schultern. »Okay. Von mir aus.«
»Super«, sagte Dóra, »sollen wir reingehen?« Das Wetter war immer noch trüb, obwohl sich der Nebel gelichtet hatte. Er schien jedoch nur ein paar Meter gestiegen zu sein, sodass man den Fuß der nahe gelegenen Berge sehen konnte.
Sóldís ging los, und Dóra folgte ihr auf den Fersen. Sie betraten das Haus durch den Personaleingang, der in eine große Küche führte. Dort setzte sich Sóldís an einen kleinen Küchentisch für das Personal und bot Dóra einen Stuhl an. Anschließend griff sie nach einer monströsen Thermoskanne und nahm zwei Tassen aus der großen Bechersammlung.
»Weißt du, ich bin hier aufgewachsen, und meine Oma hat mir alle möglichen Geschichten von hier erzählt. Trolle und so, du weißt schon. Das meiste ist natürlich Unsinn, aber sie glaubt, dass einiges davon stimmt«, erklärte Sóldís und reichte Dóra eine Tasse mit dampfendem Kaffee.
Dóra nickte. »Was denn zum Beispiel?« Sie nahm eine kleine Packung H-Milch und kippte einen Schuss Milch in ihren Kaffee.
»Tja, zum Beispiel das mit dem Grundstück hier. Oma hat erzählt, dass ein Fluch darauf lastet.«
»Ein Fluch?« Dóra konnte ihre Augenbrauen kaum davon abhalten, bis zum Haaransatz hochzuzucken.
»In dem Lavafeld hier wurden früher Säuglinge ausgesetzt. Frauen aus der Umgebung, die für ihre Kinder nicht sorgen konnten, brachten sie hierher und setzten sie aus.« Sie blickte zu Dóra und schüttelte sich. »Grauenvoll. Man kann sie immer noch hören, weißt du. Sogar ich hab sie schon gehört.«
Dóra hätte sich fast an ihrem Kaffee
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