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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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mich ihr Ausdruck an den meines Vater auf der Beerdigung meiner Mutter, als er sich, während sich der Sarg in die Erde senkte, eine Sekunde lang an Claras Arm klammerte. Und ich fühlte mich auch an Hughs Gesicht erinnert, als dieser im Krankenhaus in Birmingham aufgewacht war und mich anschrie, ich solle vor den Gefahren weglaufen, von denen er sich noch immer umgeben sah.
    »Ich werde dich begleiten.« Emily drängte sich zwischen uns und strich ihr übers Haar.
    »Willst du das tun?« Olivia schluckte.
    Normalerweise begleiteten meine Mutter oder Cathy Notfälle ins Krankenhaus und keine Gappy. Ich hörte das Klappern von Cathys Pfennigabsätzen auf dem Marmor und stand vom Boden auf. Sie hielt eine blaue Eispackung, die in ein trockenes Geschirrtuch eingewickelt war, in der Hand. Ich machte Platz, damit sie diese vorsichtig auf den Bluterguss legen konnte. Blaulicht wurde in den Fensterscheiben reflektiert, und ich hörte das Knirschen von Rädern auf dem Kies.
    Cathy redete mit Emily. »Wie lange war sie bewusstlos?«
    »Ich weiß nicht.« Emilys Stimme zitterte. Mein Vater öffnete dem Ambulanzteam die Tür und geleitete es herein. Ich trat noch einen Schritt zurück, weil ich mich plötzlich hilflos im Weg fühlte. Cathy legte mir eine Hand auf den Arm. »Sie haben sehr gut Erste Hilfe geleistet, Meredith.«
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich mein Wissen einmal anwenden muss.« Bis jetzt hatte mein Dienst sich darauf beschränkt, Eispackungen auf geschwollene Knöchel oder Knie nach Unfällen beim Fußball zu legen. Ich musste an Hugh denken, der blutend auf einer Staubstraße lag, dessen Kameraden den Blutfluss zu stoppen versuchten und im Bewusstsein, dass jede Sekunde ihn dem Tod näher brachte, per Funk Hilfe anforderten. Ich merkte, wie ich zitterte, und begann, in der Eingangshalle hin und her zu laufen, um dies vor den anderen zu verbergen.
    »Meredith …« Ich schluckte. »Hoffentlich hat Sie das alles nicht zu sehr aufgewühlt.« Cathys Stimme war leise, vertraulich.
    Ich blinzelte. »Nein.«
    »Sie haben eine wirklich schwere Zeit hinter sich, meine Liebe. Muten Sie sich nicht zu viel zu.«
    Was dachte sie sich eigentlich? Hatte ich heute Abend eine Wahl? Hätte ich Olivia dort liegen lassen sollen, wo sie nach ihrem Sturz gelandet war?
    Ich widersprach mit einem erstickten Laut. »Entschuldigen Sie mich.« Ich entfernte mich.
    Inzwischen sprach einer der Sanitäter mit Olivia, während die anderen bei Emily standen und sie befragten, was sie von dem Sturz gesehen hatte. »Darf ich sie begleiten?«, fragte Emily.
    »Ich bin dafür zuständig, Schüler ins Krankenhaus zu begleiten«, sagte Cathy. »Ich fahre in meinem Wagen hinterher.«
    »Aber …« Emily errötete. »Ich würde gern bei ihr bleiben.«
    »Das wird nicht nötig sein, ich danke Ihnen, meine Liebe.« Cathy lächelte sie forsch an. »Sie könnten mir meine Tasche von meinem Schreibtisch holen. Und mein Mobiltelefon. Für den Fall, dass wir in der Notfallambulanz lange warten müssen.«
    Emilys Röte schien sich zu vertiefen und die Farbe einer der dunkelvioletten Dahlien in der Vase neben ihr anzunehmen, aber sie tat, worum man sie gebeten hatte.
    Die Sanitäter halfen Olivia auf die Beine. Den gebrochenen Arm hatten sie bereits fixiert. »Soweit wir das sehen können, ist sonst nichts gebrochen, aber man wird dich in der Notfallambulanz genau untersuchen«, sagte einer zu ihr. »Du hast Glück gehabt. Ein Sturz auf diesen harten Boden …« Er schüttelte den Kopf. Ich fragte mich, ob man uns jetzt wohl zwingen würde, einen Teppich auf den Marmor zu legen.
    Emily entfernte sich mit hängenden Schultern. »Emily«, rief ich ihr hinterher, weil ich ihr etwas Tröstliches, Beruhigendes sagen wollte, aber sie reagierte nicht auf ihren Namen. Ich beobachtete, wie sie langsam in den Wohnblock zurücktrottete, wo sie ihre Zimmer hatte – eine schmale Gestalt, eingewickelt in eine viel zu große Strickjacke.
    Mein Vater saß mit abwesendem Blick auf den Treppenstufen. Er sah gleichzeitig älter, aber auch wie ein kleiner Junge aus, der auf die Erwachsenen unter ihm herabsah. Noch nie hatte ich ihn so auf der Treppe sitzen sehen. »Sie wirkte so jung, als sie dort lag. So still.«
    »Sie ist jung«, erwiderte ich schnell. »Gerade mal dreizehn.«
    »Nein, sie ist …« Einen Moment lang schien es, als wollte er mir widersprechen. »Sorry, ja, natürlich ist sie dreizehn.« Er legte seine Hand auf seine Kehle, als wollte er etwas lösen, was

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