Das geheime Kind
von den Netten. Besser, du findest dich damit ab.«
»Hab dich nie für einen gehalten.« Es war mal wieder der falsche Zeitpunkt. Sie lernten es nie.
RAUPACH UND PHOTINI BEEILTEN SICH. Die Cafeteria hatte noch offen. Nichts zu sehen von Hilgers und Nicolas.
Die beiden waren immer noch oben auf der Dachterrasse. Saßen bei strömendem Regen unter einem Sonnenschirm und spielten Stein-Schere-Papier.
»Er wollte nicht runtergehen«, sagte Hilgers. »Vorhin bin ich mal kurz weg gewesen, als sich Reintgen den Fotografen geschnappt hat. Kein Problem für Nicolas, er blieb die ganze Zeit hier.«
Photini erzählte dem Jungen, wie es Corinne ging.
Er blickte starr auf seine Hand, schien aber zu registrieren, was sie sagte. »Eins, zwei, drei.« Er machte eine Faust für »Stein«.
Hilgers reagierte nicht.
»Warum spielst du nicht weiter?«
»Vielleicht im Trockenen?«, schlug Photini vor. »In der Cafeteria gibt’s was zu trinken. Oder ein Eis?«
Nicolas schüttelte mechanisch den Kopf. »Die haben kein Schach.«
»Wir haben uns hiermit beholfen.« Hilgers hielt zwei Finger hoch für ›Schere‹. »Er gewinnt andauernd, keine Ahnung, wie er das macht.«
Unter dem Schirm war wenig Platz. Raupach und Photini wurden am Rücken nass.
»Wenn du mit reinkommst, treiben wir ein Schachspiel auf.« Der Kommissar klappte den Kragen seines Anzugjacketts hoch, ihm war kalt. »Wäre doch gelacht, das ist ein Krankenhaus.«
Nicolas ließ sich überreden. Er wirkte geduldiger als sonst.
Die Situation war ihm vertraut, er kannte die Polizisten, besonders die hübsche mit dem Lederjackett. Heute trug sie ein engeres weißes Top. Ihre Brüste zeichneten sich ab, wie eine Bodenwelle. Das war ihm in Corinnes Wohnung gar nicht aufgefallen, bei all dem Trubel.
Er setzte sich in der Cafeteria neben sie. Photini lächelte, bestellte ihm einen Schokoshake. Hob ihre Augenklappe kurz an, das war wie zuzwinkern.
Hilgers begab sich auf die Suche nach einem Schachspiel.
Der Kommissar mit dem schäbigen Anzug nahm den Stuhl schräg gegenüber und vermied direkten Blickkontakt.
Sie saßen eine Weile wortlos da, an einem Tisch ganz am Rand. Man hatte den Raum gut im Blick. Die wenigen Gäste unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, es ging um Krankheiten, Entlassungstermine, fehlendes Geld. Nicolas gewöhnte sich an die Situation. Schielte zu Photini.
Der Schokoshake kam. Viel zu süß, er trank ihn trotzdem halb leer, das füllte den Magen.
Raupach räusperte sich. Zuerst fragte er, ob Nicolas mit Thorben zusammen gewesen war in der Nacht vor zwei Tagen.
»Klar, von Anfang bis Ende.« Das stimmte nicht ganz, aber fast.
»Und wo wart ihr?«
»Zu Hause.« Jetzt wollen sie alles wissen, dachte Nicolas. Er kam nicht mehr davon.
Wie viel konnte er ihnen sagen?
Sie würden ihn einsperren, logisch. Für wie lange?
»Hör zu, Nicolas«, sagte Raupach. »Was Corinne getan hat, was sie in diese verzweifelte Lage brachte, dafür gibt es einen Grund.«
»Da war Gift in ihr drin. Das musste raus.«
»Ja, genau, das hast du prima gemacht.«
»Finger in den Hals. Weiß ich von Otto.«
»Dadurch hast du sie gerettet. Du bist ein Held, kannst stolz auf dich sein, okay?«
»Okay«, wiederholte Nicolas gedehnt. Was hatte der Kommissar vor?
Raupach tastete sich weiter heran. »Corinne nahm Tabletten, weil sie Angst hatte. Angst vor etwas, das jemand früher mit ihr gemacht hat.«
»Was denn?«
»Sex.«
Nicolas schaute prompt wieder zu Photini. Konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Sie verzog keine Miene.
»Ist dir klar, wovon ich rede?«
Der Junge formte mit der linken Hand einen Kreis und steckte seinen Zeigefinger durch, eine Pausenhofgeste.
»Ich sehe, du kennst dich aus«, fuhr Raupach fort. »Beim Sex gibt es verschiedene Abstufungen, von Anfassen und Streicheln bis zu richtigem Geschlechtsverkehr.«
»Ja, sicher.« Nicolas dachte an schweinische Internetseiten. Dann an den Chat mit Corinne. Als sie ihn gefragt hatte, was er am liebsten mochte.
»Die Menschen können das freiwillig tun, gemeinsam, dann ist das eine schöne Sache. Es kommt aber auch vor, dass jemand zum Sex gezwungen wird, mit Gewalt. Dann ist es eine schlimme Sache.« Raupach kam zum Ende der Aufklärungsstunde. »Man nennt das Missbrauch oder Vergewaltigung.«
»In der Zeitung steht das manchmal«, sagte Nicolas.
»Wir glauben, dass Corinne missbraucht wurde. Oder vergewaltigt.«
»Wirklich?«
»Und wir wollen herausfinden, wer es getan
Weitere Kostenlose Bücher