Das geheime Kind
schon all die Jahre zuvor. Doch jetzt hat er sie in der Hand.«
Photini nickte. »Er schärft ihr ein falsches Alibi ein. Dass sie zusammen im Kino waren. Dann kümmert er sich um die Babyleiche. Er verlässt den Tatort und wird die Sporttasche im Botanischen Garten los.«
»Nicolas ist ihm hinterhergegangen«, schaltete sich Heide ein. »Er will die Tasche in den Rhein werfen, schafft es aber nur zum Niederländer Ufer.«
Raupach schloss den Kreis. »Inzwischen trifft Milan in der Heckenrose ein und hält Corinne für Wintrichs Mörderin. Er stiehlt die Brieftasche und legt mit dem Haschisch eine falsche Spur. Dann bringt er Corinne nach Mülheim und wird den Spaten los.«
Sie schauten sich gegenseitig an. Der Konferenzraum wirkte plötzlich noch kahler, als er war, das Halogenlicht stach in den Augen.
Heide überprüfte die Notizen, die sie in den vergangenen Stunden angefertigt hatte. »Nach allem, was wir sonst noch haben, heißt das: Alle werden unter Anklage gestellt, die ganze Familie einschließlich Plavotic. Keiner geht straffrei aus. Sogar Vera, wegen unterlassener Hilfeleistung.«
»Hauptsache, Thorben Bahling fährt ein«, fand Photini.
»Aber für wie lange?« Raupach sank in seinem Stuhl zurück. »Sein Anwalt wird ihm raten, sich schuldig zu bekennen. Die Vergewaltigungen fallen unters Jugendstrafrecht. Der Mord an Wintrich könnte als Totschlag durchgehen. Dass er bei Kotissek nachgeholfen hat, ist schwer nachzuweisen. Und die Verletzungen, die ihm sein Vater zugefügt hat, verschaffen ihm eventuell einen Mitleidsbonus.« Er machte eine Pause. »Wenn’s gut für ihn läuft, kommt er nach fünf Jahren raus.«
CLAUSING BEENDETE das bleierne Schweigen. »Es gibt auch eine erfreuliche Nachricht, wenn man so will.«
Die Köpfe der Polizisten fuhren zu ihm herum, dankbar für alles, was die Stimmung irgendwie aufhellte.
»Ich habe einen Experten von der Uniklinik hinzugezogen. Die Medizin kennt allerlei Erklärungen, keine ist zweifelsfrei bestätigt.«
»Raus damit!«
»Corinne hat ihr Baby nicht getötet. Das kann ich mit Sicherheit sagen.«
Verblüffte Gesichter. Keiner stellte die nächstliegende Frage.
»Die Todesursache war Atemstillstand«, führte Clausing weiter aus. »Aber wir haben nichts gefunden, was auf äußerliche Gewalt oder Fremdeinwirkung hindeutet. Keine Stofffasern von Matratzen, Decken oder Kissen in der Lunge. Keine Druckstellen oder Würgemale.«
Der Gerichtsmediziner schlug eine Mappe auf, entnahm ihr einen Stapel Fotos und klemmte einige an die Leiste einer Planungstafel.
»Es sind auch keine Blutgefäße geplatzt, wie das im Todeskampf vorkommt. Das Kind hat einfach mit dem Atmen aufgehört. Diagnose: plötzlicher Säuglingstod.«
»Und welchen Anteil hat Corinne daran?«, fragte Raupach.
»Keinen. Sie ist unschuldig.«
»Aber es muss doch irgendetwas vorgefallen sein, was –«
»Nein. Es ist einfach passiert, unerwartet. Wahrscheinlich während das Baby schlief.«
Clausing riss ein paar Theorien an, Infektionen, gestörter Blutfluss, Pilze in der Matratze. Er stellte Risikofaktoren dar wie Bauchlage, Überwärmung, ungenügende Luftzirkulation. Alles nur Erklärungsansätze, bei plötzlichem Kindstod seien auch Fachleute ratlos. Und er betonte, dass er schon gestern beim Fund der Leiche auf fehlende Spuren hingewiesen hatte.
»Geben Sie uns ein Szenario«, sagte Raupach schließlich. »Was könnte sich zugetragen haben, in Corinnes Wohnung, vor zwei Tagen?«
»Unter dem Schock einer erneuten Vergewaltigung«, setzte Photini hinzu. »Als der Alptraum zurückgekehrt war.«
»Ich habe keine Ahnung.« Clausing hob die Hände. »Das wäre reine Spekulation.«
»Also schön, stellen wir’s uns vor.« Photini stand auf und begann, den Konferenztisch zu umrunden. Dimmte im Vorbeigehen das Licht herunter.
»Corinne kommt zu sich nach Hause. Sie hat Thorben noch an sich dran, in ihr drin.«
Heide nickte.
»Sie würde gern duschen. Aber das Baby schreit, klar, sie ist ja auch eine Weile weg gewesen. Kein Stofftier weit und breit. Sie gibt ihrem Kind die Brust. Das fällt ihr schwer, Thorben hat sie überall betatscht. Trotzdem, das Baby muss trinken. Tut es auch, irgendwann schläft es friedlich ein. Corinne deckt es zu, begräbt es förmlich unter der Decke, obwohl es im Zimmer viel zu warm ist.«
Photini blieb stehen und lehnte sich an die Wand. »Zum Duschen ist sie jetzt zu erschöpft. Soll sie Thorben anzeigen, ihn endlich büßen lassen? Oder sich
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