Das geheime Kind
bedeutet so viel wie: Dem ist alles zuzutrauen.«
»Die Typen stehen mir auch bis hier«, sagte Photini und meinte es auch so. Heide, Raupach, Reintgen, die hatten alle einen an der Klatsche.
»So? Hast du was angestellt?«
»Nicht, dass ich wüsste. Hin und wieder rauch ich was, das ist alles. Und weil die Bullen alle Filmleute für Junkies halten, platzen sie regelmäßig bei uns rein und führen sich auf, als wären wir Schwerverbrecher.«
Das war nicht wahr. Das Drogendezernat drückte bei den Kreativen alle Augen zu, schließlich stand Kölns Image als Medienstadt auf dem Spiel, und so mancher Bulle wollte sich mal als Statist in einem »Tatort« sehen.
»Wann musst du denn am Bahnhof sein?«, fragte Milan.
»Ich hab noch Zeit. Zur Not nehm ich den letzten Zug nach Frankfurt um kurz vor zwölf.« Sich Fahrpläne einzuprägen, das hatte sie von Raupach. Immer an die Fluchtwege von Verdächtigen denken.
»Brauchst du Shit?«
Volltreffer. »Hast du was?«
»Du stellst Fragen.«
»Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute höre. Du bist ein Engel.«
Sie waren kurz vor dem Ebertplatz. Milan nahm die Abzweigung zum Eigelstein und fuhr rechts ran.
»Wie viel?«
»Für hundert Euro?«
»Lohnt sich ja kaum.«
»Dann eben hundertfünfzig«, sagte Photini. »Mehr hab ich gerad nicht.«
»Geh zu dem Dönerladen da drüben. Ich komm gleich nach.«
»Du machst es aber spannend.«
»Na los, beweg dich! Ich bin kein fahrender Coffeeshop.«
Sie stieg aus, ging ein paar Schritte, warf einen Blick über die Schulter. Milan bückte sich und griff unter den Fahrersitz.
Weiter, zum Dönermann. Das Shit-Päckchen am Tatort stammte also von Milan. Hatte er sich mit Otto Wintrich wegen eines Deals gestritten und ihm dann von hinten den Schädel eingeschlagen? Warum? Wurde er provoziert, weil er aus Kroatien stammte? War es einfach nur wegen des Geldes? Oder ging es um mehr, Konkurrenten ausschalten, eine persönliche Feindschaft?
Gleich würde Milan mit dem Haschisch rüberkommen, dann wäre er überführt. Sie tastete nach den Handschellen. Ein Anruf, um Verstärkung anzufordern. Eigentlich hätte sie von Reintgen ein Funkgerät bekommen sollen, aber das hatte sie vergessen, abgelenkt von ihrer Endlich-Sex-Euphorie und dem darauffolgenden Jungpolizistinnenfrust.
Pech. Dann eben das Handy rausholen, sich zur Seite drehen und den Aufsteller mit Döner-Falafel-Lasagne als Deckung benutzen. Sie nahm die Brille ab, wählte Raupachs Nummer und wartete auf die Verbindung. Scheißsatellit. Das dauerte wieder eine Ewigkeit.
Einen Blitz sehen. Schmerzen sehen, das waren glühend weiße Keile auf dunklem Grund, wie bei einem Filmnegativ.
Er hatte seinen Ellbogen benutzt. Photini sank zu Boden.
Sie sah gerade noch, wie Milan davonrannte, zum Ebertplatz.
Das Auge tat verflucht weh. Wo war das Handy? Schrott, sie hatte es fallenlassen, war auch noch draufgetreten: der Klang von Kunststoffsplittern auf Asphalt.
Milans Taxi stand noch da. Wenn er damit geflüchtet wäre, würden sie ihn ganz schnell kriegen. Wenn Photini die Zentrale kontaktieren könnte. Wenn sie sich nicht wie die letzte Anfängerin angestellt hätte.
War es nicht Raupach, der immer zu viele Gedanken an die Wenns verschwendete?
Sie biss die Zähne zusammen und nahm die Verfolgung auf.
EIN FOLTERKNECHT, mit Zahnruinen in einem vernarbten Gesicht, haut dir aufs Auge. Wieder und wieder.
Photinis Körpergefühl, als sie Milan hinterherrannte. Unter Stress überschlug sich ihre Phantasie.
Die ersten Meter waren schwer. Nur nicht das Bewusstsein verlieren, umkippen, der Länge nach hinschlagen. Ihr Schädel brummte gewaltig, doch mit dem linken Auge sah sie immer noch scharf. Und sie war gut in Form. Wozu joggte sie alle paar Tage?
Weiter vorn Milans Gesicht. Er hatte sich umgedreht, suchte nach ihr, in der Hoffnung, sie außer Gefecht gesetzt zu haben. Entdeckte sie in einigem Abstand hinter sich, duckte sich unwillkürlich. Dann verschwand sein Rücken nach unten zum U-Bahnhof Ebertplatz.
Wo sich mehrere Linien trafen. Die Bahnen fuhren im Minutentakt ein und wieder ab, teilweise gleichzeitig. Leicht, dort jemanden abzuschütteln.
Schon das Zwischengeschoss war riesig. Photini näherte sich den Rolltreppen, die zu den Bahnsteigen hinunterführten. Immer mehr Menschen kamen ihr entgegen. Es musste jetzt halb elf sein, da war an einem Freitagabend noch jede Menge los. Ihre Pistole zu ziehen, wäre jetzt das Dümmste, was sie tun
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