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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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du die Führung abgeben?«
    »Eine Versetzung würde mir schon reichen. Andere Aufgaben, ein neues Team.«
    »Jetzt bin ich aber erschüttert.«
    »Tut gut, oder? Rüttelt einen mal richtig durch.«
    »Langsam, Klemens. In unserer Abteilung ist nicht alles Gold, das stimmt. Aber Leute wie Effie, Jakub, sogar Höttges, die wachsen nicht auf den Bäumen.«
    »Du hast Photini vergessen.«
    »Tatsächlich?«
    »Wie auch immer, jede Lücke lässt sich füllen. Deine Worte.«
    Immer noch kein Witz, dachte Heide. Was braute sich hier zusammen? »Gut, dass ich für Notfälle was dabei hab.« Sie zog einen Flachmann aus der Tasche und reichte ihn Raupach. »Mein Alkoholiker-Fallschirm.«
    »Was ist das?«
    »Wirst du schon merken.«
    Wacholder, so stark, dass sich die Magenwände zusammenzogen.
    Heide nahm auch einen Schluck. » Be prepared. Alte Pfadfinderregel.« Sie rückte näher an ihn heran und streckte ihre Beine links und rechts von ihm aus. »Wie hast du mich vorhin eigentlich erkannt? Doch nicht am Parfüm?«
    »Ich kann dich fühlen.« Raupach lehnte sich zurück. Heide trug eine kevlarverstärkte Sondereinsatzjacke. Sie öffnete den Klettverschluss. Die Glock drückte durchs Holster gegen seine Rippen.
    »Vorsicht, die ist schussbereit. Ich halte mich nicht mehr an die Vorschriften.«
    »Könnte es nicht immer so sein?«, fuhr er fort. »Gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, du in meinem Rücken.«
    »Mit einer Waffe zwischen uns? Macht dich das an?«
    »Inzwischen kenne ich deine Macken. Ich wüsste nicht, dass mir eine davon unsympathisch wäre.«
    »Ist das die Stunde der aufgesparten Nettigkeiten?«
    »Wenn wir alt und grau sind, kannst du die Knarre auf den Nachtkasten legen, neben das Glas mit dem Gebiss.«
    Da war er endlich, der Witz. Heide brachte ihren Mund neben sein Ohr. »Planst du längerfristig?«
    »Mehr so von Augenblick zu Augenblick, das kann man wohl kaum planen nennen.« Er stieß die Luft aus, ein Atemwölkchen löste sich von seinem Mund. »Ich weiß, wen ich mag.«
    Aha. Sie überlegte. »Und was ist mit Photini?«
    »Die kommt ohne uns klar.«
    »Uns?«
    »So kann man es doch sehen.«
    »Wie? Dich vergöttert sie, und mir zeigt sie die kalte Schulter.«
    »Sie will uns etwas beweisen, ob’s dir gefällt oder nicht. Wir sind ihre Bezugspersonen. Mum und Dad.«
    »Aber ich schau sie nicht so an wie du. Mit diesem Schafsblick.«
    »Das sind Beschützerallüren. Ich arbeite dran.« Er strich über ihr Hosenbein.
    Heide wunderte sich, warum es so brannte in ihr. »Was hast du vor?«
    Er drehte sich um und küsste sie.
     
    ES FÜHLTE SICH AUF ANHIEB GUT AN – was Heide und Raupach gleichermaßen erstaunte. Er hielt inne und wartete auf einen Einwand. Doch sie lächelte nur ungläubig und grub die Finger fester in seine Schulter.
    Die kleine Pause hatte eine durchschlagende Wirkung. Wie auf Kommando fielen sie übereinander her.
    Sie befanden sich an einem Tatort, umringt von den Spuren eines Mords. Vielleicht war es ein Trotzreflex. Aber wo, wenn nicht hier, konnten sie sich gehenlassen? Mit jedem Kuss merkten sie, wie rätselhaft ihnen die Liebe geworden war.
    Schließlich nahmen sie eine bequemere Haltung ein. In den Augen des anderen sahen sie die vergangenen zwölf Jahre: reichlich Annäherungsversuche, ohne ernsthafte Absichten, wie ein Running Gag. Erst jetzt, ohne den sicheren Boden der Ironie, waren sie sich in die Arme gestürzt.
    »Was ist los mit uns, Klemens?«
    »Wir sind gegen ein paar Steine getreten. Sie geraten in Bewegung. Gerölllawine. Erschütterung.«
    »Das hätten wir längst schon machen sollen.« Heide suchte wieder seinen Mund, spielerisch diesmal. »Oder musste ich erst kündigen?«
    »Keine Konjunktive.« Kuss. »Und keine Fragen. Wir nehmen es, wie es kommt.«
    »Dann will ich auch keine Metaphern mehr hören.«
    Heides Dienstwagen war am Ende der Duisburger Straße geparkt, unter einer Bahn-Brücke. Sie mussten nur den Nordpark durchqueren, Standheizung und Liegesitze warteten.
    In Parzelle Nummer 85 brannte kein Licht. Der Tütentünn war entweder unterwegs, oder er lag wieder im Trinkerkoma.
    Eng umschlungen gingen sie durch die Nacht. Unter dem Pavillonpilz, wo Höttges Frau Leins vernommen hatte, saugten sie sich aneinander fest, wie zwei verknallte Teenager, die nicht genug voneinander kriegen konnten. Lachten wegen des sonderbaren Ortes, der aus einem Disneyland für Punks zu stammen schien. Gingen weiter.
    Dann ein Flüstern an Raupachs Hals.
    »Wir sind

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