Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
suchen, als ihn der erste Anruf von Tim Gleason erreichte.
“Er sagte, er hätte sie”, erinnerte sich Russell. “Er sagte, sie wäre in Sicherheit und würde unverletzt zu mir zurückkehren, wenn ich Andrea Gleason begnadigte.”
Die Kamera schwenkte hin und wieder auf Vivian, die im Zuschauerraum saß und sich ein Taschentuch gegen die Augen drückte. Es war qualvoll für Eve, die beiden so zu sehen. Sie versuchte mit aller Macht, sich zu distanzieren, aber es war unmöglich. Als Russells Zeugenaussage zu Ende war, standen Tränen in ihren Augen.
Am nächsten Tag betrat David Gleason, Tims Cousin, den Zeugenstand. Er hatte lange Haare und braune Augen und erinnerte sie an Marty. Wegen seines starken Akzents war er manchmal kaum zu verstehen, sagte jedoch aus, dass Tim ihn damals gefragt habe, ob er die Hütte haben könne, um “ein paar Tage auszuspannen”.
“Kam es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass er mit seinem Bruder ein paar Tage ausspannen wollte?”
“Nein. Marty hatte ziemliche Probleme. Ich glaubte, dass Tim seinen Bruder einfach mal aus der Stadt rausholen und an einen ruhigen Ort bringen wollte.” Er strich sich durch den Bart. “Natürlich hab ich mir schon was gedacht, als die Geschichte mit der Entführung im Fernsehen kam, aber ich war verwirrt.”
Schreiner hob die Augenbrauen. “Inwiefern verwirrt?”
“Weil es hieß, sie würden mit dem Gouverneur übers Telefon verhandeln, und in der Hütte gab es kein Telefon.”
“Kamen Sie nicht auf die Idee, die Polizei zu informieren, als Ihnen klar wurde, was Ihre Cousins da taten?”
Gleason musterte kopfschüttelnd seine Hände. “Nein. Ich meine … ich war noch jung.”
“Fantastische Entschuldigung”, kommentierte Jack. Er und Eve sahen die Tageszusammenfassung vom Bett aus. “Ich war jung”, äffte er ihn nach. “Den Typ sollte man gleich mit seinem Cousin aufknüpfen.”
“Ich war damals anders als heute”, fuhr Gleason fort. “Und ich mochte Andie … Andrea. Ich konnte verstehen, was Tim und Marty vorhatten. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass Mrs. Russell … äh … bereits tot war.”
Angespannt wartete Eve darauf, den Namen CeeCee Wilkes zu hören. Wie furchtbar, den Prozess nicht live verfolgen zu können. Tagsüber saß sie in ihrem Büro und fragte sich, ob CeeCee Wilkes Rolle in der Entführung bereits zur Sprache gekommen war. Wer würde sie als Erstes ins Spiel bringen? Vielleicht ja Tim höchstpersönlich. David Gleason jedenfalls schien nichts von ihr zu wissen.
“Wann sind sie danach zum ersten Mal wieder in der Hütte gewesen?”, fragte Schreiner.
“Im darauffolgenden Frühjahr wahrscheinlich. Ich bin aber nicht sicher.”
“Haben die beiden Brüder irgendwelche Spuren in der Hütte hinterlassen?”
Gleason rutschte auf seinem Stuhl herum. “Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass die Badezimmertür kaputt war. Der Türrahmen auf Höhe der Klinke war zersplittert.”
In diesem Moment begann Schreiner seinen energischen Tanz durch den Gerichtssaal und präsentierte zwei große Fotografien vom Badezimmer und vom Flur der Hütte. Mit einem Zeigestock deutete er auf die Stelle, an der die Kugel in der Wand gefunden worden war. Dann förderte er die Kugel selbst zutage, in einer kleinen Plastiktüte, und legte sie auf einen Tisch.
“Wann hatten Sie den nächsten Kontakt mit den beiden Brüdern?”
“Tim rief an … ich weiß nicht mehr genau, wann. Vielleicht eine Woche später. Er sagte, dass die Polizei hinter ihnen her wäre und sie verschwinden müssten.” David warf Tim, der ruhig neben seinem Anwalt saß, einen entschuldigenden Blick zu. “Er sagte, er würde sich melden, sobald es möglich sei.”
“Und hat er es getan?”
“Ja. Ungefähr ein Jahr später rief er wieder an. Wissen Sie, wir waren all die Jahre wirklich eng befreundet. Und er sagte …” Er blickte wieder auf seine Hände, seine Kiefermuskeln arbeiteten. Als er den Kopf hob, waren seine Augen feucht. “Er sagte, ich dürfte niemandem jemals seinen neuen Namen verraten.”
“Warum haben Sie nicht die Polizei informiert, als Ihnen klar wurde, dass Mrs. Russell noch immer vermisst wird?”
Gleason zuckte mit den Schultern. “Ich wollte Tim und Marty keinen Ärger machen.”
“Was für ein netter Kerl”, rief Jack.
“Marty war … schizo, verstehen Sie? Ich dachte, er hätte sie aus Versehen umgebracht und Tim würde versuchen, ihn zu schützen.”
Jack reckte die Arme über den Kopf und gähnte.
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