Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
solche Fragen überlegen und durfte dann nicht mehr von ihrer Geschichte abweichen. “Nein, wir haben uns getrennt, als ich im sechsten Monat war.”
“Scheißkerl. Wie heißt er?”
“Patrick.” Der Name war ihr einfach so eingefallen, aber es war ein guter Name. Patrick klang nach roten Haaren.
Lorraine sah sie an. “Du bist siebzehn, arbeitest als Bedienung und ziehst allein ein Kind groß.” Sie schüttelte den Kopf. “Mädchen, ich bewundere dich. Ich wusste von der Sekunde an, als du hier hereingeplatzt bist, dass ich dich mögen werde.”
“Ging mir genauso”, entgegnete Eve schüchtern.
“Ich bin allerdings vergeben, also komm auf keine falschen Ideen.”
“Wie bitte?”
Lorraine lachte. “War ein Witz, Eve.” Und dann flüsterte sie: “Bobbie – Shans Mutter – ist meine
Freundin.”
Eve brauchte noch immer einen Moment, bis sie begriff. Dann riss sie die Augen auf. “Oh! Ich bin nicht lesbisch.” Das sollte sie wohl besser klarstellen.
“Wer hätte das gedacht.” Lorraine lachte wieder, dann wurde sie auf einmal ernst. “Ich hoffe, wir können trotzdem Freundinnen werden. Oder macht das für dich irgendwie einen Unterschied?”
Zum ersten Mal an diesem Abend entdeckte Eve hinter dem unbekümmerten Benehmen Lorraines noch etwas anderes. Die Falte zwischen ihren Augenbrauen war zu tief für eine Zwanzigjährige. Wie war es wohl, zu entdecken, dass man anders war? Dass man Mädchen einfach lieber mochte als Jungs? Hatte denn wirklich jeder Mensch irgendeine Last zu tragen?
“Natürlich können wir Freundinnen werden.” Zumindest wünschte sie sich das sehr.
Als sie nach Hause kam, schlief Cory. Marian wollte alles über ihren ersten Arbeitstag erfahren.
“Du hast ganz rote Wangen”, stellte sie fest, als Eve sich aufs Sofa fallen ließ. “Sieht aus, als ob es dir Spaß gemacht hätte.”
“Hat es auch.” Eve lächelte. “Es ist keine sonderlich anstrengende Arbeit. Und eine der Bedienungen, Lorraine, ist wirklich witzig. Ich glaube, du kennst sie.”
Marian legte das Buch weg, in dem sie gelesen hatte. “Aber natürlich. Shan ist die Tochter ihrer Lebensgefährtin Bobbie, wusstest du das?”
“Sie hat es mir erzählt.” Es gefiel ihr, wie unbeschwert Marian mit allem und jedem umging. “Sie sagte, du hättest ihr sehr geholfen.”
“Na ja, ich weiß nicht. Sie hat sich noch in der Highschool zu ihrer Homosexualität bekannt, woraufhin ihre Eltern ihr das Leben zur Hölle machten. Deswegen habe ich sie bei mir aufgenommen.”
“Das war sehr nett von dir”, sagte Eve, obwohl es ihr einen leichten Stich versetzte. Also hatte Lorraine auch schon Marians Fürsorge genossen.
“Die Arbeit ist also nicht zu hart, hm? Gehen dir die Studenten nicht auf die Nerven?”
“Heute war es ziemlich ruhig, aber davon abgesehen habe ich gern Studenten um mich. Ich hatte vor, in Caro … ich hatte vor, aufs College zu gehen, bevor all das passierte.”
“Wirklich? Welches Fach?”
“Sozialarbeit.”
“Du wärst eine gute Sozialarbeiterin.”
“Eines Tages vielleicht.” Aber sie konnte sich nun nicht mehr vorstellen, jemals ein College zu besuchen.
“Solange du hier wohnst, könntest du doch auch hier aufs College gehen.”
“Ich will aber meine freie Zeit mit Cory verbringen.”
“Verstehe. Aber du könntest langsam anfangen, mal hier ein Seminar besuchen, mal da. So in etwa hat Lorraine auch angefangen.”
Nur ein Seminar, das hörte sich gut an. Nur … wie sollte sie sich denn ohne das Zeugnis einer Highschool am College bewerben?
Um zwei Uhr morgens wärmte Eve in der Küche Wasser für Corys Fläschchen auf. Cory lag in ihrem Tuch an Eves Bauch geschmiegt und wimmerte leise. Eve wollte gerade ein Papiertuch wegwerfen, als sie die Zeitung im Mülleimer entdeckte. Inzwischen hatte sie sich angewöhnt, beim Frühstück Zeitung zu lesen, heute Morgen allerdings hatte Marian behauptet, dass der Zeitungsjunge nicht vorbeigekommen wäre. Als Eve die Schlagzeile las, wusste sie sofort, warum Marian gelogen hatte.
Gleasons Freundin begeht Selbstmord
Bestürzt las sie den Artikel.
Die zwanzigjährige Elizabeth Jones, die die Polizei zum Versteck der Gleason-Brüder in Jacksonville geführt hat, wurde gestern in ihrer Wohnung in Chapel Hill tot aufgefunden. Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten.
“Elizabeth Jones? Wer ist denn das?”
Wie Jones’ Mitbewohnerin Jeannie Parker erklärte, hatte Jones in den letzten Tagen sehr unglücklich gewirkt.
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