Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
vergessen, dass Genevieve ihn als einen Schürzenjäger bezeichnet hatte.
“Du bist erst siebzehn. Und verglichen mit einer Zweiundzwanzigjährigen bist du ein wenig … naiv.”
“Sechzehn.”
“Du warst sechzehn, als du ihn kennengelernt hast?”
“Ich bin noch immer sechzehn.” Eve wurde auf einmal wütend. Ob auf Marian, auf Tim oder die ganze Welt, wusste sie selbst nicht. “Ich bin sechzehn. Eve Bailey ist siebzehn.”
Marian lehnte sich zurück. “Guter Gott. Wusste er, wie alt du bist?”
Eve nickte.
“Eve.” Marian stieß ein lautes Seufzen aus. “Mir ist je klar, dass es sich bei ihm um Corys Vater handelt und er dir sehr viel bedeutet, aber ich muss dir sagen, dass ich diesen Mann nicht mag.”
“Er war wirklich lieb zu mir”, wandte Eve ein. “Er hat mich geliebt. Ich habe eines Tages per Post fünftausend Dollar bekommen, und ich bin mir sicher, dass er mir das Geld geschickt hat.”
Marians Augen hinter der Brille wurden groß. “In bar?”
Eve nickte. “Er wollte mir die Möglichkeit geben, aufs College zu gehen.”
“Wo ist das Geld jetzt?”
“Ich musste es zurücklassen, als … das alles passiert ist.”
“Wieso bist du dir so sicher, dass er das Geld geschickt hat?”
“Weil er reich ist.”
Marian rümpfte die Nase. “Dann hat er dich auf jede nur mögliche Art gekauft.”
“Das kann ich einfach nicht glauben.” Eve stand auf und stellte ihre Teetasse in die Spüle.
“Sechzehn”, sagte Marian zu sich selbst. “Dann hast du noch nicht mal die Highschool beendet?”
“Doch, das habe ich.” Eve spülte die Tasse ab. “Und zwar mit Auszeichnung!” Sie spürte, wie Wut in ihr hochkochte. “Das ergibt doch alles keinen Sinn. Warum sollte er sich so eine Mühe geben, mich ins Bett zu bekommen, wenn er …”, sie deutete auf die Zeitung, “… sie hatte?”
“Es geht nicht immer nur um Sex. Vielleicht hat er dich so dazu gebracht, etwas zu tun, was sie nicht tun wollte.”
Eve starrte sie an. Am liebsten hätte sie
Ich hasse dich!
geschrien, doch sie zwang sich, die Worte hinunterzuschlucken. Sie hasste Marian nicht. Sie hasste nur das, was sie ihr beizubringen versuchte.
“Ich begreife das einfach nicht”, sagte sie. “Ich kann nicht glauben, dass er mich nicht geliebt hat.”
“Du hast etwas viel Besseres verdient, Eve. Ich möchte, dass du anfängst, daran zu glauben.”
Cory stieß einen lauten Schrei aus.
“Ich glaube, unser Gerede stört sie.” Eve schaukelte Cory in ihren Armen, küsste ein Ohr und streichelte ihren Rücken. Dabei sah Cory sie mit einem Blick an, der ihre Seele berührte. Eve beugte sich herab zu dem Baby, das sie liebte. Zu dem Baby, das sie gestohlen hatte.
Sie wusste nicht mehr, was sie verdient hatte.
23. KAPITEL
S ommer 1978
Eve zog Leinenshorts und ein weißes Trägerhemd an und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Haar, das durch die Luftfeuchtigkeit kraus geworden war, reichte ihr inzwischen fast wieder bis zu den Schultern. Sie befestigte es mit einer großen Spange im Nacken.
Sie besuchte in diesem Sommer nur ein Seminar in Psychologie. Doch ihr Antrag auf finanzielle Unterstützung war genehmigt worden, sodass sie im nächsten Herbst zu weiteren Vorlesungen gehen und ein Jahr später dann richtig studieren konnte. Es war nicht möglich, in Charlottesville Sozialarbeit zu studieren, aber Eve war darüber weniger enttäuscht, als sie befürchtet hatte. Ihre Gefühle gegenüber Tim waren mittlerweile gemischt und sie wollte nicht mehr unbedingt in seine Fußstapfen treten. Marian hatte ihr das Zeugnis einer Highschool in Oregon und eine Studiengenehmigung besorgt. Diese Unterlagen hatten wie durch Zauberei eines Morgens einfach auf dem Küchentisch gelegen, ähnlich wie damals die Geburtsurkunden und der Führerschein. Eve stellte keine Fragen, kopierte die Unterlagen und füllte den Studienantrag aus.
Der Unterricht machte ihr Spaß, sie las mehr, als verlangt wurde, verschlang Bücher von Freud und Jung und Erikson und wurde, obwohl sie im Hörsaal lieber unbemerkt geblieben wäre, schnell zur Lieblingsstudentin ihres Professors.
Über das sensomotorische Stadium wusste sie alles, immerhin bekam sie es zu Hause jeden Tag mit. Cory versuchte mittlerweile, das Mobile über ihr zu greifen, und schaltete den Lichtschalter unentwegt an und aus. Auf der anderen Seite entwickelte sie eine gewisse Ängstlichkeit und weinte immer, wenn Eve das Haus verließ. Es war ein normales Entwicklungsstadium, das wusste sie,
Weitere Kostenlose Bücher