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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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entkommen!«
    »Und die anderen Hüterinnen der Stimme? Sicher hat man bereits eine Nachfolgerin auserkoren!«
    La Bouche schwieg. Daran hatte er nicht gedacht.
    »Wo sind diese Frauen?«, knurrte er schließlich.
    Ambovombe war es leid, dass die drei Männer die Köpfe zusammensteckten und er kein einziges Wort verstand, daher traf er eine Entscheidung.
    »Als Kind war ich dabei, als mein Vater dem französischen Gouverneur die Hand reichte«, verkündete er mit lauter Stimme, »und ich war ebenfalls Zeuge, als dieser Verräter es ihm mit dem Feuer seiner Kanonen dankte.«
    »Aber …«
    »Ich höre den Rauch …!«
    »Was sagt er da?«
    »Der Rauch des geopferten Zebus, die Stimme der Ahnen!«
    »Übersetz schon, Pierre!«, drängte La Bouche ungeduldig.
    »Er spricht über den schwarzen Rauch des Rituals.«
    »Welcher Rauch, verdammt noch mal?«
    »Ich kann meine Ohren nicht länger vor seinen Worten verschließen!«, fuhr Ambovombe fort, bevor er sich vielsagend zum Schamanen umdrehte. »Ich will das Blut dieses Franzosen in einer Schale! Heute Nacht werden die Ahnen ihren Hunger stillen!«
    »Und die beiden anderen?«
    »Den Übersetzer und den Musiker will ich lebend!«
    »Worüber reden sie?«, kreischte La Bouche. Der Arzt hoffte, sich verhört zu haben. »Pierre, sag ihm, dass er mit Sicherheit nicht das volle Ausmaß meines Vorschlags bedacht hat!«
    Der Schamane zog die Machete und ging auf den Kapitän zu. Als er ihn gerade ergreifen wollte, machte dieser eine rasche Bewegung nach hinten, versetzte ihm mit dem Ellbogen einen Schlag ins Gesicht und brach ihm die Nase.
    »Lauft!«
    Ohne darüber nachzudenken, warfen sie sich zwischen die Hütten und suchten nach dem Pfad, der aus dem Dorf hinausführte. Wo war bloß der Ausgang? Und würde es ihnen jetzt überhaupt noch helfen, ihn wiederzufinden? Mit keuchendem Atem sahen sie sich nach allen Seiten um. Plötzlich nahm Matthieu einen widerlichen Geruch wahr, der die Luft erfüllte. Er rannte weiter, umrundete die Hütten der Sklaven und stieß auf etwas so Schreckliches, wie er es noch nie zu Gesicht bekommen hatte: In einem Kreis aus Asche lagen unter Holzspänen und Lederfetzen die Körper von dreißig gepfählten Frauen.
    »Oh mein Gott …«
    Er würgte. Auf einmal überkam ihn ein Schwindel, als hätte jemand ihm mit einem Sack eins über den Kopf gegeben.
    »Das kann doch nicht sein …«, flüsterte Pierre entsetzt.
    »Sind das …«
    »Die Hüterinnen der Stimme. Der ganze Klan.«
    Einige Sekunden verharrten sie reglos und betrachteten die geschändeten Körper. Einige waren vom Alter gebeugt gewesen, andere hatten noch nicht einmal die Pubertät erreicht, bevor man sie hierhin geworfen hatte, damit sie in der Sonne verdorrten. Nun waren sie nichts als leere Hüllen aus Ebenholz, durchbohrt mit jenem Wald aus angespitzten Pflöcken, und geschmückt mit Zebuhörnern. Aasgeier hatten bereits die meisten Fußsohlen zerhackt.
    La Bouche wandte sich um, als der Schamane eintraf. Der Medizinmann strich mit der Hand über seine Machete. Ihm folgten der Usurpator und eine Hand voll Krieger.
    »Ich weiß, wo Luna ist!«, brüllte der Kapitän plötzlich.
    Ambovombe verspürte einen Stich in der Brust.
    »Halt!«, rief er.
    »Nein!«, knurrte der Schamane verzweifelt.
    »Hüte deine Zunge«, warnte ihn Ambovombe. Er taxierte La Bouche mit seinen Blicken, eine Technik, mit der er seine Untertanen stets in Angst und Schrecken versetzte. »Was hast du da gesagt, du weißt, wo sie sich befindet?«
    »Stellt Euch doch einmal vor, ich würde sie Euch zurückbringen«, schwärmte La Bouche nervös. »Das Volk der Anosy würde angesichts Eurer unendlichen Macht noch größere Ehrfurcht verspüren.«
    Von der Flucht noch immer atemlos übersetzte Pierre seine Worte, so gut er konnte. Entsetzt lauschte Matthieu der Antwort des Wilden.
    »Bring mir ihren Kopf, und ich erlaube Frankreich, wieder Schiffe nach Fort Dauphin zu schicken.« Ihren Kopf …, hallte es in Matthieus Gedanken wider. »Solange sie Waffen für mich mitbringen«, fügte Ambovombe hinzu.
    Matthieu spürte, wie sich sein ganzer Körper verkrampfte. La Bouche hingegen konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen.
    »Was siehst du mich denn so an?«, fauchte er mit einem Mal. »Du bekommst deine Melodie, was schert dich da ihr Kopf?«
    »Was für ein Albtraum …«, stöhnte Pierre und stellte Ambovombe furchtlos zur Rede: »Was haben diese Frauen bloß getan, um solch eine Bestrafung zu

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