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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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ihr Schiff herangekommen, dass du ihren Gesang vernehmen konntest?«
    Pierre kam aus dem Staunen nicht heraus.
    »Ihr wusstet, dass Luna mit dem Piraten geflohen ist?«
    Ambovombes Miene wurde immer finsterer, während er auf eine Antwort wartete, die ihm der Franzose nicht gab. Seine Untertanen beobachteten ihn entsetzt. Seit der Flucht der Priesterin mit dem Korsaren überkamen ihn fürchterliche Wutanfälle, und einen solchen befürchteten sie nun. Schließlich brach es aus dem Herrscher heraus. Er brüllte etwas, das Pierre nicht verstand, und schleuderte die Violine in die Luft.
    Sie drehte sich im freien Fall.
    Matthieu hatte das Gefühl, dass die Zeit stehen blieb.
    »Meine Geige …«
    Sie fiel mitten in die Menge, und einer der Anosy fing sie auf. Diejenigen, die um ihn herumstanden, brachen in nervöses Gelächter aus. Sie betrachteten das Instrument mit unbändiger Neugier, hatten gleichzeitig jedoch Angst, es zu berühren. Einer reichte es an den nächsten weiter, in Wirklichkeit wollten sie es aber eher loswerden, als ob sie sich daran die Finger verbrannten. Matthieu schob sich durch die Menschenmasse, drängte die Anosy beiseite und brüllte wie ein Verrückter. Ohne dass er so genau wusste, wie es eigentlich gekommen war, hielt er auf einmal seine Violine in den Händen. Er presste sie sich an die Brust und knurrte wie ein in die Enge getriebener Löwe.
    »Schamane!«, schrie Ambovombe und versuchte, den Medizinmann in der Menge auszumachen. »Nehmt das Opferritual wieder auf!«
    Die Münder von tausend Anosy öffneten sich zugleich und ließen ein Schnauben vernehmen, das von der fauligen Luft ihrer Lungen aus Lehm begleitet wurde. Jeder Widerstand war hier zwecklos. La Bouche versuchte, die Situation in eine neue Richtung zu lenken.
    »Pierre, sag ihnen verflucht noch mal, dass ich ein Gesandter des Königs von Frankreich bin. Wiederhol es eben so lange, bis er es begriffen hat!«
    Der Arzt versuchte, dem Satz einen feierlichen Anstrich zu verleihen. Ambovombe gebot seinen Kriegern mit einer zackigen Geste Einhalt und blickte sie einen Moment nachdenklich an.
    »Euer Herrscher hat euch ganz allein auf meine Insel geschickt?«, fragte er schließlich.
    »Wir brauchen keine Soldaten, um Euch seine Nachricht zu überbringen.«
    »Habt ihr denn keine Angst vor mir?«
    »Wir sind uns dessen bewusst, dass wir Eurem Willen ausgeliefert sind, dennoch leisten wir den Anweisungen unseres Souveräns Folge. Wir sind demütige Abgesandte und kommen in Frieden.«
    Pierre gab sich größte Mühe, sorgfältig die richtigen Worte auszuwählen. Angesichts seiner unterwürfigen Schmeichelei beruhigte sich Ambovombe etwas, Matthieu aber traute dem Ausdruck auf seinem Gesicht nicht.
    »Was bietet mir dieser König an, abgesehen von eurem Leben?«
    »Die Musik, die Ihr in der Hütte vernommen habt«, mischte sich Matthieu selbstsicher ein und presste sich die Violine, die er fest umklammert hielt, noch enger an die Brust, »wer würde sie denn sonst für Euch spielen?«
    La Bouche beglückwünschte Matthieu innerlich für diese Ausflucht. Selbst wenn die Ereignisse ganz anders verliefen als in Versailles vorhergesehen, war dies doch schließlich die Grundlage ihres Plans.
    »Seine Majestät Ludwig XIV . schickt Euch diesen Musiker als Zeichen seiner Bewunderung angesichts Eurer wachsenden Macht«, brachte er seine vorbereitete Ansprache hervor und schusterte dann eine improvisierte Erklärung dafür zusammen, dass Matthieu die Melodie kannte. »Wie Ihr sehen könnt, kann er die Gedanken der Menschen lesen und alles spielen, was diese zuvor schon einmal gehört haben.«
    Pierre übersetzte zu Ende. Matthieu warf La Bouche einen vorwurfsvollen Blick zu. Dieser war zu weit gegangen. Wenn Ambovombe ihn jetzt auf die Probe stellte, flogen sie alle auf.
    Zum Glück fragte dieser nur: »Und was verlangt dein König im Gegenzug?«
    Matthieu atmete auf, und auch La Bouche schöpfte wieder Hoffnung. Er musste den Augenblick nutzen, um den zweiten Teil seines Plans anzugehen.
    »Ich bin gekommen, um Euch etwas anzubieten, nicht um Bitten vorzutragen«, antwortete er listig und verrenkte sich zu einer unnatürlichen Verbeugung. »Lasst uns doch unter vier Augen darüber sprechen«, schlug er vor. Ambovombe stieg von seinem Podest herunter. Die Eingeborenen drängten zur Seite, um ihn durchzulassen. Er trat auf die drei Franzosen zu und betrachtete sie aus nächster Nähe, so als wolle er ins Innere ihrer Augäpfel blicken. Dann

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