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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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habe sie noch nicht transkribiert.«
    Luna presste sich die Muschel an die Brust.
    La Bouche richtete seine Waffen auf sie.
    »Gib das her!«
    »Nein!«
    »Was wollt Ihr bloß mit der Partitur anfangen?«, fragte Matthieu, um Zeit zu gewinnen.
    »Misch dich da nicht ein. Mein Gott, denk doch mal an deine Familie«, erwiderte der Kapitän zynisch.
    Matthieu war wie erstarrt.
    »Woher wisst Ihr, dass …«
    »Dass diese Melodie mehr ist als nur ein Hirngespinst unseres Königs?«, vollendete La Bouche seine Frage.
    Matthieu traute seinen Ohren kaum.
    »Ich hätte es wissen müssen. Nach den Vorfällen auf Gorée habt Ihr mich gefragt, was an dieser Melodie bloß so besonders ist. Mir hätte damals schon klar sein müssen, dass Ihr eigentlich nicht von ihrer Existenz wissen konntet.«
    »Um ehrlich zu sein, bezahlt mich für die Beschaffung dieser Melodie weder der König noch Minister Louvois.«
    »Ihr arbeitet für die Mörder meines Bruders …«, erschauderte Matthieu.
    »Die Umstände machten seinen Tod leider unumgänglich, das war jedoch nichts Persönliches«, entgegnete La Bouche spöttisch.
    »Wer ist dafür verantwortlich?«
    »Das kann dir dein Bruder gleich selbst verraten.«
    Er spannte den Schlagbolzen an beiden Pistolen.
    Matthieu sah ihm lange in die Augen und schüttelte den Kopf.
    »Ihr seid doch kein Mörder. Ich habe Euch im Verlauf dieser Reise kennengelernt und sehe Euch nicht als einen solchen Menschen!«
    »Was du da zu Gesicht bekommen hast, war nur der Abglanz des Mannes, der ich einmal war«, antwortete der Kapitän plötzlich in vertraulichem Tonfall. »Ein trügerisches Abbild, das sich beim Betreten dieser verzauberten Erde gezeigt hat. Aber wir wissen doch beide, dass ich nun nichts weiter bin als ein verfluchter Menschenhändler. Warum sollte ich also nicht auch selbst käuflich sein?«
    Matthieu suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Er wandte sich zu Luna um.
    »Tötet mich und nehmt die Muschel an Euch, aber verschont sie. Ich flehe Euch an …«
    »Was haben Sängerinnen nur an sich, dass sie uns allen den Kopf verdrehen?«, lachte La Bouche. »Sei doch nicht einfältig!«
    »Ihr habt doch jetzt die Melodie!«, rief Matthieu wütend. »Warum müsst Ihr Euch dann noch auf diesen verdammten Handel mit denselben Anosy einlassen, die Euch vor zehn Jahren erniedrigt haben?«
    »Warum denn nicht? Die Mörder deines Bruders werden mich mit Gold überschütten, und Louvois wird mich zum Statthalter der neuen Kolonie ernennen! Monsieur La Bouche, Gouverneur von Madagaskar …«, ließ er sich den Titel auf der Zunge zergehen. »Ich kann dir versichern, dass diese gottverdammten Eingeborenen einen hohen Preis dafür zahlen werden, was sie mir angetan haben.«
    Matthieu wollte sich auf ihn werfen, plötzlich aber fiel ein Schuss.
    Er verharrte reglos. War es das, was man fühlte, wenn man starb? Gar nichts? Voller Angst betrachtete er Luna. Ihr schien nichts zugestoßen zu sein. Er betastete seine Brust. Kein Blut, nicht einmal ein Kratzer. Dann trat er an La Bouche heran. Dieser war wie erstarrt. Was war geschehen? Der Kapitän fiel auf die Knie, ließ die Arme sinken und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, es quoll allerdings nur Blut hervor. Eine Kugel hatte ihn im Nacken getroffen, und er schlug auf dem glitschigen Boden der Höhle auf. Aber wer hatte bloß geschossen?
    »Pierre!«
    Der Arzt lebte noch, er hatte sich vom Eingang der Grotte hergeschleppt und hielt die erhobene Waffe noch immer umklammert.
    Matthieu lief zu ihm. Er nahm ihm die Pistole ab und drückte ihm die Hand.
    »Verzeih mir, Pierre, ich habe dich deines Lebens beraubt …«
    »Du hast ihm vielmehr einen Sinn gegeben«, entgegnete dieser mit letzter Kraft. »Und du wirst noch viele Melodien komponieren.«
    Unter seinen halbgeschlossenen Lidern lugten Lemuren mit gestreiften Schwänzen hervor, Insekten mit purpurroten Flügeln, in allen Regenbogenfarben schillernde Chamäleons, die Fledermäuse aus den Tamarindenbäumen, die knorrige Krone des Baobabs und all die anderen Wunder, die er in jenem Garten Eden gefunden hatte, in dem die Zeit stillzustehen schien.
    »Geh nicht …«
    »Ich trete doch nur in die Dimension der Ahnen über«, flüsterte Pierre mit immer leiser werdender Stimme.
    Etwas leichteren Herzens strich Matthieu ihm über die Stirn.
    »Bei ihnen wird es dir gut ergehen. Auf Madagaskar wirst du schließlich von allen geliebt.«
    Ein Lächeln spielte um den Mund des Arztes.
    »Und von Zeit zu Zeit kehre ich

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