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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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Musiker sah einen Moment lang zu, ohne dabei an irgendetwas zu denken. Schließlich reagierte er und versuchte, seinen Freund ins Innere der Grotte zu zerren, es prallten jedoch in nur Zentimetern Entfernung zwei weitere Pfeile am Stein ab. Aber sollte er ihn etwa dort liegen lassen? Matthieu zog mit aller Kraft. Dann bemerkte er einen stechenden Schmerz im Arm. Die Spitze eines weiteren Pfeils hatte ihm dort eine glatte Schnittwunde verpasst, aus der warmes Blut hervorquoll. Er stieß einen Schrei aus, der durch Mark und Bein ging, und hievte den Körper des Arztes mit einem letzten machtvollen Ruck unter die Zähne des Ungeheuers. Dann bat er ihn, noch ein wenig durchzuhalten, und schob sich ins Innere der Grotte.
    Direkt vor dem Eingang zur Höhle ließ eine Klippe die Wellen zerbersten. Die Gischt umspielte seine Füße, bevor sie wieder den Weg zurück ins Meer fand. Es roch nach Fäulnis. Der junge Musiker machte langsam einen Schritt voran und dann noch einen. In der Grotte herrschte undurchdringliche Dunkelheit, und auf sein Gehör konnte er sich ja nicht mehr verlassen. Beinahe hätte er wieder kehrtgemacht, als er plötzlich im hinteren Teil der Höhle den schwachen Schein einer Fackel entdeckte, die orangefarbene Strahlen in das Schwarz malte.
    Er ging rasch darauf zu und tastete sich dabei an der scharfkantigen Wand entlang, um nicht auszugleiten. Sein Herz klopfte heftig. Jemand hockte auf dem Boden. Sie musste es einfach sein …
    »Luna!«
    Er wollte zu ihr laufen und sie umarmen, blieb aber wie angewurzelt stehen. Welch seltsame Macht überkam ihn da mit einem Mal? Jeder Muskel seines Körpers war wie gelähmt, er konnte sich nicht von der Stelle rühren, verspürte aber keine Angst. Sein Herzschlag beruhigte sich nach und nach, während ihn ein unbeschreibliches Gefühl erfüllte.
    Luna hielt etwas in den Händen.
    Er versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen.
    Ein weißes Schneckenhaus …
    Sie hielt es sich an den Mund, als vertraue sie ihm flüsternd ein Geheimnis an.
    Matthieu betrachtete sie von weitem, und immer reichere und intensivere Emotionen durchströmten ihn. Langsam wurde ihm klar, dass Luna nicht in die Muschel hineinsprach. Sie sang vielmehr. Dieser Gesang … Entsprach er nun der Wirklichkeit, oder bildete er sich ihn nur ein? Der Geiger konzentrierte sich. Die Töne waren echt … Er vernahm sie wirklich! Er konnte wieder hören!
    »Gott sei Dank …«, seufzte er und konnte, wenn auch nur ganz leise, dem Echo seiner eigenen Worte lauschen.
    Lunas betörender Gesang begleitete seine Rückkehr ins Reich der Töne. War das die Melodie vom Ursprung? Was konnte es denn sonst sein? Während er ihre Noten immer deutlicher hörte, wurde auch eine Erinnerung immer stärker – die Musik des Übergangs zur andere Seite, die Engelschöre, die ihn umfangen hatten, als Jean-Claude in seinen Armen gestorben war. Das gleiche Gefühl der Vollkommenheit empfand er auch hier. Die Luft in seiner Lunge vervielfältigte sich, er konnte alles begreifen und etwas berühren, das der Glückseligkeit ähnelte.
    Jetzt drehte Luna sich um.
    »Matthieu!«
    Er zitterte. Endlich konnte er die Füße vom Boden lösen und zu ihr laufen, um sie in die Arme zu schließen.
    »Ich hatte solche Angst um dich …«
    Luna antwortete schluchzend: »Verzeih mir bitte …«
    »Da gibt es doch nichts zu verzeihen.«
    »Als ich vor Ambovombe geflüchtet bin, habe ich meine Muschel mitgebracht«, stotterte sie unter Tränen. »Jede der Hüterinnen hatte eine, sie war seit Jahrhunderten unser Emblem. Ihr habe ich mein Lied anvertraut, so wie es der Tradition zufolge die Letzte von uns tun muss!«
    »Du hast sie ihr anvertraut?«
    »Mein Klan ist ausgestorben«, fuhr sie fort und unterdrückte weitere Tränen. »Die Muschel ist Wächterin der Melodie, ihr musste ich die Melodie übergeben, damit sie weiterlebt, wenn ich einst sterbe.«
    »Komm her …«
    Er nahm sie noch fester in den Arm.
    In diesem Moment erklang vom Eingang der Höhle her eine Stimme, die Matthieu nur zu gut kannte.
    »Wirklich rührend!«
    Entgeistert wandten die beiden sich um.
    »La Bouche …«
    Wie hatte er sie bloß gefunden? Bestimmt war er ihnen gefolgt. Mit einer Pistole in jeder Hand kam er langsam näher.
    »Was für eine Überraschung, nicht wahr?«
    »Was habt Ihr vor, Kapitän?«
    »Hast du die verfluchte Partitur niedergeschrieben?«
    »Nein«, antwortete Matthieu. Es war wohl das Beste, die Wahrheit zu sagen.
    »Lüg mich nicht an!«
    »Ich

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