Das geheime Lied: Roman (German Edition)
der junge Musiker auf ihn hatte.
»Majestät …«, grüßte dieser mit einer erneuten Verbeugung.
»Marquis de Louvois hat mir gerade von deinen Abenteuern erzählt, obwohl ich doch sehr hoffe, dass du sie mir selbst bald in allen Einzelheiten schildern wirst.«
»Wenn dies Euer Wunsch ist …«
»Gewiss! Du hast schließlich die magische Insel betreten! Stimmen all die Dinge, die man sich über sie erzählt?«
Matthieu schaute ihm tief in die Augen, so als wolle er eine seiner Liebhaberinnen verführen.
»Ihre Schönheit ist so atemberaubend, dass sie nur durch Poesie beschrieben werden kann.«
»Ich sehe es direkt vor mir … Was ist mit den Tieren? Und den Pflanzen? Ich will sie alle für meine Gärten!«
»Ich versichere Eurer Majestät, dass Eure Maler und Bildhauer nicht einmal in ihren kühnsten Träumen dazu in der Lage wären, die Spezies zu erdenken, die ich gesehen habe«, fuhr Matthieu mit seinem Lobpreis fort.
Charpentier konnte nicht fassen, welche Freiheiten sich sein Neffe da herausnahm, aber auch nicht, wie ergriffen der Herrscher reagierte, als er seinen Schilderungen wie ein enger Vertrauter lauschte.
»Vielleicht solltest du die Insel noch einmal besuchen, um mir ein paar von diesen Arten mitzubringen«, scherzte der König. In diesem Moment zeigte sich Luna schüchtern im Durchgang zum zellenhaften Nachbarraum. Über dem Mieder trug sie ein Spitzentuch mit Kapuze, das ihre bloßen Schultern zeigte, als sie sie sich vom Kopf streifte. Wieso bemerkte er sie erst jetzt? Sie war so fremdartig und anziehend wie eine Geistererscheinung inmitten dieser Unterhaltung, die ihm eher wie ein Traum vorkam. »Oder vielleicht musst du auch gar nicht zurückkehren, denn wie ich sehe, hast du mir das prächtigste Exemplar ja bereits mitgebracht.«
Der König näherte sich ihr, ging einmal um sie herum und musterte sie dabei unverfroren mit einer Mischung aus Neugier und Lüsternheit. Er schickte sich an, ihren dunklen Hals zu berühren, ganz anders als der der Damen bei Hofe, die sich mit Sublimat Gesicht und Dekolleté bleichten, zog die Hand aber zurück, bevor sie die Haut erreichte, die sich unter seinen Fingerkuppen sträubte.
»Das ist die Mondesstimme«, erklärte Charpentier, um den Herrscher ein wenig zu bremsen. »Die Hüterin der Melodie vom Ursprung.«
»Die Priesterin?«, rief König Louis aus. »Hier in meinem Palast?«
»Ja, Majestät.«
Er wandte sich rasch zu seinem Minister um. »Warum habt Ihr mich darüber nicht informiert? Diese schwarze Perle … Versteht sie ein wenig von unserer Sprache?«
»Ja«, antwortete Luna, »solange ich meinen Zuhörer noch nicht gut kenne, schweige ich jedoch lieber.«
Der König brach in Gelächter aus.
»Gouverneur Flacourt hat nie erwähnt, dass es auf Madagaskar auch Löwinnen gibt!«
Luna drehte sich um, ließ den Herrscher einfach stehen und verschwand wieder in der Zelle. So etwas war König Louis noch nie widerfahren.
»Verzeiht ihr, Majestät …«, entschuldigte Charpentier sie rasch.
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, schnitt Matthieu ihm das Wort ab. Er hatte erreicht, dass der Herrscher hier nach seinen Spielregeln spielte, und durfte nun nicht nachgeben. »Luna gehört nicht in unsere Welt«, erklärte er. »Sie erfreut sich bereits des freien und reinen Geistes, den Ihr doch mit Stein wiederherstellen wollt.«
»Erlaubt mir, Euch Isaac Newton vorzustellen, Majestät«, griff Louvois beflissentlich ein, um dem Gespräch wieder einen formelleren Anstrich zu verleihen.
Der Wissenschaftler verneigte sich.
»Ich möchte Euch für Eure Gastfreundschaft danken.«
»Es tut mir leid, dass ich Euch in dieses Kellergewölbe verbannen muss.«
»Ich kann Euch versichern, Majestät, dass dunkle Kammern mein natürlicher Lebensraum sind.«
»Dann stimmt es also … Ihr seid der Alchemist, der diese Unternehmung in die Wege geleitet hat.«
»Ich bitte um Verzeihung für meine Tollkühnheit«, antwortete der Engländer in gesucht besonnenem Tonfall, »aber ich bin ein Mann auf der Suche nach der Wahrheit.«
»Der Wahrheit?«
»Nach dem Ursprung, der Essenz … Mein Vater starb, noch bevor ich geboren wurde. Vielleicht habe ich mich deshalb dem himmlischen Vater anvertraut und will ihn darum in allen Einzelheiten ergründen, erfahren, was er im Sinn hatte, als er mich erschuf.«
Der König wusste nicht, ob er die Worte des Wissenschaftlers als Gotteslästerung auffassen sollte oder nicht. Schließlich beschloss er, sie eher seiner
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