Das geheime Lied: Roman (German Edition)
eingefangen zu haben.«
»Ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen kann, Majestät«, entgegnete der Soldat und neigte leicht den Kopf. Er ließ dem König einen letzten lüsternen Blick auf das geschnürte Dekolleté seiner Frau gerne durchgehen.
»Wann werdet Ihr mich endlich wieder mit Eurer Stimme verzaubern?«, fragte der Souverän die Sängerin. »Ihr straft mich schon seit Wochen mit Missachtung!«
»Aus genau diesem Grund sind wir ja hier, Majestät«, warf Lully ein.
»Sprecht!«
»Madame du Rouge möchte Euch heute Abend während des Balls mit einem Stück erfreuen.«
Virginie tat verlegen, innerlich platzte sie jedoch fast vor Genugtuung. Während der letzten Monate hatte sie jedes Zusammentreffen mit Lully genutzt, um ihn davon zu überzeugen, was für eine ausgezeichnete Idee doch ein Auftritt von ihr bei der Einweihung der Galerie wäre. Nach der Erstaufführung von Amadis de Gaule , an die man sich leider eher wegen des Unwetters und wegen Matthieus Intermezzo erinnerte als wegen ihrer Rolle der Fee Urganda, wollte sie die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, die italienischen Gäste der Feier zu beeindrucken. Sie war von der Vorstellung besessen, eines Tages im venezianischen Teatro San Cassiano zu singen, das zu diesem Zeitpunkt als Tempel der europäischen Oper galt, und war deshalb auf das Wohlwollen einiger Mäzene angewiesen, die als Gäste an der Enthüllung der Spiegel in Le Bruns neuer Galerie teilnehmen würden.
»Das erscheint mir eine ganz wunderbare Idee«, nickte derKönig.
Virginie konnte vor Freude kaum an sich halten.
»Welcher Moment wäre dafür angemessen?«, fragte Lully König Louis, da er wusste, dass dieser gerne bis ins kleinste Detail kontrollierte, was um ihn herum vor sich ging, egal ob es nun um Schlachten, Konzerte, Liebschaften oder harmlose Versteckspiele in den Gärten ging, bei denen er sich gerne als Kuppler unter den jungen Leuten aus dem Adel betätigte.
»Zunächst findet ein Bankett statt, das meine vierundzwanzig Streicher begleiten werden, dann enthülle ich die Spiegel, und schließlich werden wir uns bei einem Ball vergnügen, der sein Ende mit Sicherheit nicht vor den frühen Morgenstunden finden wird. Am passendsten wäre es wohl, wenn Ihr während des Abendessens singt«, schlug er vor, »wenn die Anwesenden ihren ersten Hunger gestillt haben und sich mit allen Sinnen Eurem Gesang widmen können.«
»Ich werde Eure Majestät nicht enttäuschen.«
Die Sopranistin verneigte sich.
»Ihr werdet die Ballkönigin sein. Ich nehme doch an, dass Ihr bereits ausgewählt habt, was Ihr heute Abend tragen werdet …«
Aus Anlass der Tagundnachtgleiche hatte Ludwig XIV . beschlossen, dass die Feier in allen Aspekten, von der Dekoration bis hin zur Kleidung, dem Frühling huldigen sollte. Einen Tag lang sollten die Geladenen Mieder und Wams, die hohen Absätze und Perlen sowie die weiten Röcke mit Bändern aus Satin vergessen und nur schlichte Gewänder im Stile der alten Griechen anlegen.
»Selbstverständlich«, antwortete sie und verdrehte dreist die Augen zum Himmel, weil sie wusste, wie sehr der König solche Spielchen der Verführung liebte. »Die Seide meiner Tunika ist so zart, dass man darunter mein Herz schlagen sieht.«
»Und Ihr, Gilbert?«, rief der Herrscher und wandte sich rasch an seinen Offizier, um sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen. »Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich darauf brenne, Euch in eine Tunika gehüllt zu sehen! Meinen Edelleuten habe ich es schon klar und deutlich gesagt: Ich will in jedem Paar einen Apollo und eine Aphrodite sehen! Obwohl man in Eurem Fall«, sagte er zum ebenso harten wie verhätschelten Soldaten, »wohl eher von einem Achilles sprechen sollte.«
»Jetzt muss ich mich aber zurückziehen, um mich für Euch schön zu machen«, entschuldigte sich Virginie und drängte sich so noch einmal in den Mittelpunkt.
»Auch für mich wird es Zeit«, erwiderte der Souverän. »Um mein Kostüm anzulegen, brauche ich die Hilfe von mindestens vier Dienern … Mehr werde ich Euch aber nicht verraten, Ihr werdet meine Maskerade heute Abend noch früh genug bewundern können!«, rief er, bevor er sich auf den Weg zu seinen Gemächern machte.
In den Katakomben des Palastes ging alles seinen geplanten Gang. Am Vortag hatte Newton exakt in dem vom Rätsel vorgegebenen Moment das philosophische Quecksilber und das Gold zusammen aufgekocht und seitdem den Blick nicht mehr vom Feuer
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