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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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mal keine Sorgen. Er ist auf dem Markt, um mit dem Schmied zu sprechen, der eine neue Harke für ihn anfertigt. Er ist völlig besessen von ihrer Breite und der Länge der Zacken. Selbst mir hat er davon erzählt. Er ist so ein reizender Mensch … Los, hier entlang!«, drängte sie. »Er ist sicher noch eine Weile unterwegs.«
    Sie schritten durch die Eingangshalle. Das Haus war voll von Wandteppichen, italienischen und flämischen Malereien, Büsten aus dem alten Rom und orientalischem Porzellan. Offensichtlich investierte der Gartenbaumeister seinen Lohn in schöne Dinge, statt ihn für Kleidung aus dem Fenster zu werfen, die er bei einem Maskenball ein einziges Mal tragen würde. Sie stiegen eine Treppe zu den Privaträumen hinauf. Isabelle zeigte auf eine Tür.
    »Seit deinem Verschwinden hat sie ihr Zimmer kaum noch verlassen«, erklärte sie, bevor sie Matthieu allein ließ.
    Er schritt zögernd voran. Die Tür stand ein wenig offen, und er trat ein, ohne anzuklopfen. Aus dem Fenster gelehnt schnitt Nathalie voller Feingefühl die welken Blätter des Efeus. Sie war so schön wie am Abend in der Orangerie, wie an jedem Morgen neben dem Laden des Zuckerbäckers hinter der Kirche. Nun blickte er sie zum ersten Mal an, seit er sich dessen bewusst war, dass sie in Zukunft getrennte Wege gehen würden. Plötzlich kam ihm eine Erinnerung in den Sinn, die er für immer verloren geglaubt hatte.
    »Es war ein blauer Schmetterling«, sagte er laut.
    Nathalie erstarrte. Ihre kleine Gartenschere fiel zu Boden. Die Worte, die dort in ihrem Zimmer hervorgebracht wurden, rochen nach dem Obst exotischer Inseln und dem Pulver enternder Piraten.
    »Matthieu …?«
    »Das war der erste Laut, den wir gemeinsam vernommen haben«, fuhr er fort. »Isabelle hatte uns gerade vorgestellt, das war an dem Nachmittag, den Jean-Claude und ich unter den Kastanienbäumen verbracht haben. Wir saßen schweigend auf dem Rasen. Der Schmetterling flog vorbei, und ich habe nach deiner Hand gegriffen.«
    Langsam drehte sich Nathalie um. Endlich waren sie wieder zusammen, jeder auf seiner Seite des Zimmers, über das Licht hinaus vereint.
    »›Dieser Flügelschlag‹, hast du gesagt, ›ist so blau wie deine Augen‹«, fügte sie hinzu. »Und ich habe die Lider geschlossen und geöffnet wie die Schwingen eines Schmetterlings.«
    »Darf ich näher treten?«
    Die Umarmung vereinte mehr als nur ihre Körper.
    In diesem Moment vernahm Nathalie ein Flüstern, das sie nicht kannte. Es klang nach Sicherheit und Familienglück wie das Geräusch des Löffels im Topf, in dem heiße Schokolade blubbert.
    »Was ist das …?«
    »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.«
    »Wirklich? Woher?«
    »Aus weiter Ferne. Es ist eine Muschel.«
    Nathalie berührte sie, las mit der Fingerkuppe ihre Kanten und Vertiefungen.
    »Erzeugt sie dieses Geräusch?«
    »Ihre bisherige Besitzerin hat mir gesagt, dass Muscheln aus Madagaskar den Laut von sich geben, den ein jedes Herz begehrt.«
    »Ihre Besitzerin?«
    Einen Moment lang herrschte Stille.
    »Wirst du mir irgendwann verzeihen?«
    »Wie kann ich dir denn nicht verzeihen, wenn du mich doch sehen gelehrt hast?«

4
    I n seinem Schlafzimmer steckte der Herrscher den Kopf zum Fenster hinaus und sog die Luft in tiefen Zügen ein.
    Der frische und klare Morgen war ideal, um mit seinen Lieblingsdamen auf dem Grand Canal eine Fahrt zwischen den vergoldeten Galeonen zu unternehmen. Dafür benutzte er gerne die Gondel, die ihm der venezianische Senat geschenkt hatte, und ließ sich von einer Feluke mit einem Grüppchen Streicher begleiten, die seine Spazierfahrt angenehm untermalten. Es war auch ein guter Tag, um mit einem schnellen vierspännigen Wagen seine Besitzungen abzufahren und gleichzeitig dem Hof sein Geschick als Jäger zu beweisen. Zunächst einmal musste er aber mit seinen Beratern die letzten Details der Galerieeinweihung besprechen.
    Der oberste Diener schlief im selben Raum wie der König hinter einem Vorhang. Als er nun bemerkte, dass der Herrscher wach war, suchte er auf dem Wachposten rasch seine Sachen zusammen und gab im Schloss Bescheid. Die Türen wurden geöffnet, und es erschienen die Mitglieder der Königsfamilie, die Prinzen von Geblüt und die hohen Offiziere der Krone, der Leibarzt und der Kammerherr – welcher ein Schälchen Weihwasser mitbrachte, damit der Herrscher sich bekreuzigen konnte –, der Meister der Perückensammlung … Das Ritual hatte begonnen. Auch die einfachsten Handgriffe der

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