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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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als jeder andere, dass seine Mittel beschränkt sind, und auch, wie teuer es werden kann, Virginies Launen zu befriedigen.«
    Ludwig XIV. ging auf den Marmorkamin des Vorzimmers zu und strich mit der Hand gedankenverloren über den Rahmen des Bildes, das darüberhing.
    »Was soll ich de la Reynie bloß sagen?«, brach es plötzlich aus ihm heraus. »Dass ein Bürgerlicher, der eigentlich in der Bastille hätte schmoren sollen, die Melodie meiner Sopranistin für die gestohlene Partitur hält, die wir nicht einmal wiedererlangen konnten? Das kann ich doch niemals beweisen! Und ich versichere dir: Es würde mir im Moment wirklich nicht gelegen kommen, dass das Parlament mir in den Rücken fällt und eine Dame freilässt, die ich selbst angeklagt habe.«
    Allein der Gedanke, die Autorität, die ihn in den Augen der Höflinge umgab, könnte erste Risse bekommen, ließ den Herrscher in Panik geraten.
    »Und was werden Eure Majestät dann mit mir tun?«, forderte Matthieu ihn heraus. »Seid Ihr fähig, mich wieder in die Bastille werfen zu lassen, obwohl Ihr genau wisst, dass ich die Wahrheit spreche?«
    »Du wirst augenblicklich in die Galerie treten und Virginie du Rouge und ihren Ehemann vor allen Gästen um Verzeihung bitten.«
    »Wie bitte?«
    »So wird Monsieur Félibien in seiner Chronik festhalten können, dass selbst jemand wie du, ein armer, vom Teufel besessener Verrückter, nach einer kurzen Unterredung mit dem Sonnenkönig wieder Vernunft annimmt. Folge mir, lass uns wenigstens ein wenig Nutzen aus der Angelegenheit ziehen.«
    Matthieu zögerte einen Moment. Seine Lippen zitterten, er wollte schreien und konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Virginie so davonkommen würde. Aber was konnte er anderes tun, wenn er nicht eine exemplarische Strafe riskieren wollte, vor der ihn dieses Mal niemand bewahren konnte? Und was würde ohne ihn aus Luna? Es war schrecklich und ein unfassbarer Rückschlag, jetzt wusste er aber wenigstens, vor wem er sich in Acht zu nehmen hatte. Nun galt es, Zeit zu gewinnen, und irgendwann fand er vielleicht doch noch einen Weg, Virginie und ihren Ehemann zur Strecke zu bringen.
    »Wie Eure Majestät befehlen«, schloss er daher.
    Während sie näher kamen, nahm die Sopranistin wieder ihre übliche Haltung ein, reckte das Kinn vor und setzte eine überhebliche Miene auf. Félibien, der Chronist, trat heran, um festzuhalten, was in diesem kleinen Kreis gesprochen wurde, zu dem inzwischen alle Adligen herübersahen. Maestro Lully schloss sich der Gruppe an. Matthieu vermutete, dass es ihn wie jeden anderen auch köstlich amüsieren würde, seine Erniedrigung mit anzusehen. Minister Louvois kündigte ganz formell die Entschuldigung an, die der junge Mann vorzubringen hatte. Dabei fiel Matthieu jede einzelne Silbe schwer, aber schließlich musste er sich doch beugen. Er sprach die Worte, die von ihm erwartet wurden, beinahe unhörbar, während es ihm innerlich die Seele zerriss.
    Die Augen der Sopranistin verengten sich zu Schlitzen wie die einer Katze, und sie konnte nicht verhindern, dass ein verschlagenes Lächeln um ihre Lippen spielte, was Matthieu natürlich nicht verborgen blieb. Bevor er sich von ihr abwandte, konnte der junge Musiker sich ein kurzes Kichern nicht verkneifen, das alle Anwesenden erstaunte.
    »Was ist nun wieder?«, fragte ihn Louvois.
    »Als wir im Vorzimmer über meine Unterhaltungen mit La Bouche gesprochen haben, war mir etwas völlig entfallen, ein Satz, den er vor seinem Tod gemurmelt hat.« Der Geiger verstummte kurz, als versuche er, sich an die exakten Worte zu erinnern. Alle lauschten gespannt. »Er sagte in etwa: ›Was haben Sängerinnen nur an sich, dass sie uns allen den Kopf verdrehen?‹«
    Jene angedeutete Vermutung, selbst der Kapitän habe sich mit der Sängerin zwischen den Laken getummelt, war zu viel für den verrückten Gilbert. Er nahm den Dolch wieder an sich und stürzte sich auf Matthieu. Der Musiker konnte ihn am Arm packen, die beiden fielen jedoch zu Boden. Geübt in solchen Situationen, nutzte der Offizier einen schwachen Moment seines Gegners und rammte ihm die Klinge in die Schulter. Von dem Schmerz wurde Matthieu schwarz vor Augen, aber er stieß einen Schrei aus und warf sich rechtzeitig beiseite, um dem zweiten Stich auszuweichen und dem Soldaten einen Fußtritt zu verpassen, der ihn rücklings gegen die Venus aus Marzipan schleuderte. Eingehüllt in den Zuckerstaub, der in der Luft hing, sprang Matthieu rasch auf und griff nach

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