Das geheime Lied: Roman (German Edition)
Glitzerstaub, und er war ganz in Gold gehüllt, trug einen Brustpanzer, eine Ballettstrumpfhose und ein Sammelsurium aus Schmuck, unter anderem ein Diadem mit zwölf Strahlen aus purem Gold. Mit Begeisterungsrufen verliehen die Anwesenden ihrer Überraschung Ausdruck und applaudierten, während Ludwig XIV . auf das Podium mit dem Thron zuhielt.
»Möge das Festmahl beginnen!«, rief er, um die Zeremonie offiziell zu eröffnen.
Aus der Küche brachten Diener die ersten Platten herein. Sie bogen sich geradezu vor Köstlichkeiten, die mit Blüten geschmückt waren und noch zu den anderen in der Galerie verteilten exzentrischen Leckerbissen hinzukamen. Da gab es zum Beispiel die Venus von Botticelli aus Marzipan oder kleine Bäumchen in mächtigen Blumenkübeln, an denen karamellisierte Früchte hingen. Der Koch hatte nicht gezögert, mit extremen Geschmacksrichtungen ein Wagnis einzugehen, da er genau wusste, dass er sich vor einem ebenso einfältigen wie anspruchsvollen Heer von Gourmets beweisen musste. Als die Edelleute einige Zeit später den ersten Hunger gestillt hatten, hieß Maestro Lully seine Musiker schweigen und wandte sich mit lauter Stimme an die Anwesenden.
»Darf ich einen Augenblick um Eure Aufmerksamkeit bitten?«
»Was habt Ihr für uns vorbereitet?«, fragte ihn der König, um die Spannung zu steigern, obwohl er natürlich besser als alle anderen wusste, was für diesen Moment geplant war.
»Lasst uns der Stimme Frankreichs lauschen!«
So wie am Morgen besprochen, war nun Virginie du Rouges Auftritt an der Reihe. Sie betrat den Saal durch die hintere Tür und schritt mit langsamen Schritten bis in die Mitte der Galerie. Die Gäste hielten den Atem an. Ihre geschwellte Brust und die durchdringenden Augen verstärkten noch den neuen Glanz, der sie umgab, und Matthieu konnte nicht anders, als ihre Schönheit zu bewundern.
»Majestät«, rief Lully, »macht Euch bereit für eine Arie, die Madame du Rouge, wie ich eben erfahren durfte, persönlich für Eure anspruchsvollen Ohren komponiert hat.«
Das Gemurmel verebbte langsam, doch Virginie nahm sich noch einen weiteren Moment Zeit, bevor sie mit der Darbietung begann. Wie verzaubert betrachteten sie die Adligen, und die meisten von ihnen verbargen hinter ihren Masken aus Weinblättern einen vor allem wollüstigen Blick.
Mit seinem zur Hälfte blauen, zur Hälfte goldenen Gesicht trat Matthieu in seiner Tunika heran.
Die Sopranistin erkannte ihn nicht.
Sie senkte die Lider und begann zu singen.
Auch er schloss die Augen.
Die ersten Töne … dann eine Pause … zwei Takte mit Achtelnoten, in perfektem Legato ausgeführt, welches floss wie das Wasser eines Baches … eine kurze, flüchtige Note, die sich mit einem Mal erhob wie ein Falke, der sich vom Ast löst und sich vom Wind tragen lässt …
Die Melodie …
Die Melodie vom Ursprung …
Die Melodie der Seele …
Ihre ersten Töne stiegen aus diesem sinnlichen, tödlichen Mund auf.
Die anwesenden Edelleute erlagen dem Zauber von der ersten Phrase an. Was für eine Musik war das? Das klang ja nicht einmal wie die Stimme von Madame du Rouge …
Matthieu atmete tief durch. Was sollte er in diesem Moment empfinden? Erleichterung, Bedauern, Zorn? Sollte er sich darüber freuen, dass sich seine Vermutung nun bestätigt hatte? Er streifte sich die Kapuze der Tunika vom Kopf und starrte Virginie an. Ihre Augen, die zuvor von ihrer Verzückung gezeugt hatten, füllten sich plötzlich mit Entsetzen. Die Sopranistin glaubte, einen Geist vor sich zu sehen. Sie wollte weitersingen, die Noten blieben ihr jedoch im Hals stecken. Schließlich verstummte sie völlig.
Die Adligen blickten sich wortlos an. Sie hatten ja nur einen kleinen Vorgeschmack auf diese betörende Melodie bekommen und waren begierig, den Rest zu hören. Matthieu schaute sie noch immer an und sah unter der Fassade der Künstlerin die lüsterne Wildheit des Usurpators Ambovombe und den Abglanz eines gescheiterten La Bouche, der seinen einst so strahlenden Geist in den Dienst eitler Begehren gestellt hatte.
»So mächtig ist also dein Ehrgeiz?«, fragte er schließlich.
Keine Antwort.
»Hattest du den Olymp der Musik denn nicht bereits erklommen?«
Virginie schwieg immer noch.
»Was geht hier vor sich?«, griff nun der König ein.
Matthieu wandte sich zu ihm um und sprach mit ruhiger Stimme: »Sie ist es, Majestät. Denn sie hat die Melodie der Partitur gesungen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Sie ist die Mörderin
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