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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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sich herzogen, Pferde mit angeklebtem Einhorn und sogar zwei Elefantenjungen mit ihren Dompteuren, ein Geschenk eines Moguls. Ein Fantasieuniversum, das geradezu danach schrie, von Musik begleitet zu werden.
    Je mehr Matthieu schaute, desto mehr staunte er. Nach Lullys Anweisungen waren Plattformen in den Bäumen angebracht worden, so dass dort einige Musiker über den Köpfen der Sänger spielen konnten wie Engel in den Apfelbäumen im Garten Eden; und an der Rückseite der Bühnenbauten gab es Halterungen für die Feuerwerkskörper, die gegen Ende der Aufführung entzündet werden sollten, nachdem der Teil der Kulisse, der das Schloss des Ungeheuers darstellte, in Brand gesteckt worden war.
    Matthieu wandte den Blick gen Himmel. Es würde jeden Augenblick anfangen zu regnen. Verständlich, dass alle völlig aufgelöst waren. Es war eine Tragödie. Der ganze Aufwand für nichts …
    Er wollte gerade Monsieur Le Pautre folgen, als vor ihnen Maestro Lully auftauchte. Seitdem Lully Matthieu in seinem Arbeitszimmer überrascht hatte, waren sich die beiden Männer nicht wieder begegnet. Der Komponist gab einer Gruppe Personen verschiedenster Berufe Anweisungen, und diese nickten fachmännisch. Der Kammermusikmeister näherte sich und schloss sich dem Grüppchen an. Matthieu beobachtete aus einiger Entfernung erstaunt, welche Energie Lully versprühte, ganz anders als der Mann, den er zu kennen glaubte. In einem Moment kommandierte er einen Bühnenarbeiter herum, der rasch begann, hölzerne Balken zu lösen, und im nächsten Augenblick schrie er die Dompteure an, doch gefälligst die Exkremente ihrer Tiere aufzusammeln. Dann nahm auf einmal seine feingeistige Ader wieder überhand, und er malte mit seinem Stock zarte Kreise in die Luft, während er auf die Pappmachéwolken deutete, um zu erklären, wie die Fäden gelöst werden sollten, an denen die Vogelschar baumelte.
    »Ich habe dich nicht mitgenommen, damit du hier herumstehst«, rief der Kammermusikmeister zu Matthieu herüber. »Hilf mit, diese Stühle in den Wintergarten zu tragen! Dass du mir damit aber nirgendwo aneckst!«
    Matthieu griff nach zwei Stühlen und ging in die Richtung, die man ihm gewiesen hatte. Er umrundete das Parterre und schritt dann die Treppe der hundert Stufen hinunter, die zur Orangerie führte. Diese befand sich weiter unten und war in zwei Bereiche aufgeteilt: der Garten im Freien, in den man die Orangenbäume im Sommer holte, und im hinteren Teil die überdachten Galerien, in denen sie den Rest des Jahres über standen. Die riesigen gläsernen Fenster waren so entworfen worden, dass die Sonne hereinfiel, und rochen noch nach der ockergelben Farbe, mit der man vor kurzem die Rahmen gestrichen hatte, damit sie mit den Früchten harmonierten. Er durchschritt die Eingangstür, stellte die Stühle zur Seite und kam angesichts all der Pracht wieder einmal aus dem Staunen nicht heraus. Lully war ein Genie! Jene gewölbten Seitenschiffe, die an eine Kirche erinnerten, verströmten genau die Magie, die diese Vorstellung benötigte. Das Mittelschiff, in dem die Bühne aufgebaut wurde, musste wohl mehr als hundertfünfzig Meter lang sein. Überall standen Orangenbäume, aber auch Palmen, Oleander und Granatapfelbäume, die einen Kontrast zu dem kargen Gemäuer bildeten.
    Als er den Garten durchquerte, um noch mehr Stühle zu holen, entdeckte Matthieu ein Stück Papier, das der Wind vor sich her trieb und das beinahe in einem der Teiche gelandet wäre. Er rannte los, streckte den Arm aus und erwischte das Blatt beim ersten Versuch. Er erkannte bald, dass es sich um das Schema einer Ballettszene handelte, ein Gewirr aus Strichen mit Markierungen für die Schritte und Halbkreisspiralen für die Pirouetten.
    Matthieu sah sich um und entdeckte in der Menge denjenigen, dem das Blatt mit Sicherheit gehörte: dem offiziellen Choreographen. Er war eine in ganz Paris bewunderte Persönlichkeit, denn das Ballett war ein Merkmal, das die französische Oper von anderen unterschied, und daher hing der Erfolg eines Werkes in großem Maße davon ab. Der Choreograph hockte auf dem Blumentopf eines jungen Orangenbaums und diskutierte so heftig mit seinen Tänzern, dass es schien, als würde es bald zu einem richtigen Streit kommen. Er sah anscheinend keine Möglichkeit, die Schritte der neuen Bühne anzupassen. Matthieu trat näher.
    »Was willst du?«, fuhr ihn der Choreograph unwirsch an.
    »Es tut mir leid, dass ich Euch unterbrechen muss«, sagte Matthieu

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