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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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Gelegenheit wollte er sich jedoch nicht entgehen lassen. Er hatte das Gelände von Versailles noch nie betreten. Sagt doch bitte ja, flehte er mit Blicken. Ich würde alles tun, um mich nützlich zu machen! Wer auch immer im Umkreis von Paris etwas mit Musik zu tun hatte, würde sich dort einfinden. Sagt ja! Er war sich dessen bewusst, dass man ihm nicht erlauben würde, bei der Aufführung zugegen zu sein, aber allein die Vorstellung, bis zur Orangerie durch die königlichen Gärten zu fahren und mit eigenen Augen die Kulisse des Amadis zu sehen, löste in ihm Emotionen aus, die er nur schwer verbergen konnte.
    »Maestro Lully hat die Anweisung gegeben, wirklich jedem Bescheid zu sagen«, gab der Bote feinsinnig zu bedenken, »selbst den Schreinerlehrlingen.«
    Monsieur Le Pautre kam nicht umhin, sich vorzustellen, wie gut er doch dastehen würde, wenn er mit vier statt zwei Händen zu Hilfe eilte. Er ließ sich die Sache noch ein letztes Mal durch den Kopf gehen und stimmte schließlich mit resignierter Miene zu. Bevor er es sich noch einmal anders überlegte, rannte Matthieu los, um seine Geige im Glasschrank zu verstauen, und hüpfte auf das hintere Treppchen der Kutsche, während die vier Pferde den Wagen schnaubend wendeten und sich in Richtung Versailles aufmachten.

13
    A ls er den Wald rund um den Palast erblickte, erschauderte der junge Musiker, und das hatte nichts mit dem feuchten Nebel zu tun. Er hatte so oft gehofft, diesen Moment endlich erleben zu dürfen, dass er jetzt nervös in alle Richtungen blickte, so als wäre es seine einzige Gelegenheit, diese Anhäufung von Wundern zu betrachten. Versailles war eine Ode an die Perfektion, war das Detail jedes diagonal gekappten Stängels, ein absurdes Labyrinth aus Hecken, eine Blase erfüllt von scharfen Aromen aus Asien, war ein Ort für Hirsche und auch für seltsames Wassergetier, das in den Teichen zu finden war. Versailles war das Leben der Götter, ein Leben, das außerhalb von Träumen niemals hätte existieren dürfen.
    Sie sprangen aus der Kutsche. Matthieu begriff nun, warum Nathalies Onkel sich seit Jahren des königlichen Wohlwollens erfreuen durfte. Dem Kammermusikmeister entging die erstaunte Miene des Schülers nicht, und er öffnete seit der Abfahrt aus Paris zum ersten Mal den Mund.
    »Dreißigtausend Infanteristen unseres eigenen Heeres haben diesen Garten unter Le Nôtres Leitung im Schweiße ihres Angesichts vollendet.«
    »Dreißigtausend …«
    »Die Verluste waren größer als in den meisten Kriegen; viele starben an dem Fieber, das sie sich in den Sümpfen einfingen. Aber sieh dir das Ergebnis doch an!«, rief er bewegt. »Wer könnte dieses Schauspiel überbieten? Zwischen endlosen Rasenflächen, die in Richtung des Windes gemäht werden, hat man in so einer fantastischen Aufteilung Beete, Haine und Plätze angelegt, als ob alles von oben entworfen wäre. Und dazwischen tanzen die Fontänen von zweitausend Brunnen im Gleichtakt.«
    »Zu den Klängen von Maestro Lullys Melodien«, fügte Matthieu hinzu.
    »Wenn du hart arbeitest, tanzen sie vielleicht eines Tages im Takt, den du vorgibst.«
    Matthieu war seinem Lehrmeister für diesen Kommentar dankbar, denn er ahnte, dass auch dieser sich nichts sehnlicher wünschte. Sie betraten die Gärten beim Nordflügel des Palastes, ließen den Drachenbrunnen und die Pyramide links liegen und umrundeten das Wasserparterre, in dem sich die immer dunkleren Wolken spiegelten. Matthieu stapfte mit großen Schritten voran. Er konnte gar nicht damit aufhören, sich staunend umzusehen, weshalb er mehrmals stolperte und fast gestürzt wäre. Der Anblick der Skulpturen überwältigte ihn, Tiere, Nymphen, Wesen aus Äsops Fabeln und anderen mythologischen Szenen und solche, die die Siege des französischen Heers symbolisierten.
    »Dahinten ist es! Komm weiter!«, drängte der Kammermusikmeister keuchend.
    Doch Matthieu hielt inne. Wie angewurzelt stand er da, seine Gefühle schienen ihn zu übermannen, und er bekam sogar feuchte Augen, als er in der Ferne die Kulisse von Amadis de Gaule erblickte. Am Ende der Allée de la Reine erhob sich eine riesige Bühne mit einem erdachten Paradies, das die Opernfiguren bevölkern sollten: angedeutete Säulen für den Palast der Prinzessin, steinerne Stalaktiten für die Höhle der Zauberin und ein falscher Fluss, der in ein Nebelmeer mündete. Unterhalb der Kulissen Dutzende von Schauspielern und Tänzern, Schneider, die Karren voll glitzernder Kostüme hinter

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