Das geheime Lied: Roman (German Edition)
anderen Schiffe in Küstennähe warnen würde«, vermutete Louvois.
»So ist es. Die Tatsache, dass sie so seine Botschaft verbreiten würden, rettete ihnen das Leben.«
»Wisst Ihr, wo sich dieser Seemann aufhält?«
»Ich muss ihn nur aufsuchen und die Arbeit dort fortsetzen, wo sie mein Neffe Jean-Claude unterbrochen hat. Es geht darum, dass er die Melodie spielt und ich sie niederschreibe, bis ich die richtige Partitur gefunden habe.«
Der Minister dachte nach. Ihm kam der berechtigte Zweifel, dass das Musikstück nicht die echte Melodie sein könnte, aber wenn sie Glück hatten, alles funktionierte und der Herrscher eine alchemistische Wandlung durchleben würde, dann wäre auch er an diesem historischen Ereignis beteiligt.
»Weiß noch jemand davon?«
»Offenkundig ja.« Charpentier ließ den Kopf hängen und zeigte sich plötzlich verletzlich. »Mein Neffe Jean-Claude …«
»Ah, richtig, das schreckliche Verbrechen von Saint-Louis. Wir haben die Mörder noch immer nicht gefunden.«
»Und da liegt das Problem. Weder meine Mitstreiter noch ich haben die leiseste Ahnung, wer dahinterstecken könnte. Wir wissen nicht einmal, wie die Betreffenden von dem Projekt erfahren haben. Daher müssen wir uns beeilen«, drängte er nun wieder mit der üblichen Unnahbarkeit. »An dem Tag, an dem er der Melodie habhaft wird, wird sich unser Sonnenkönig einen Platz im Olymp sichern.«
»Habt Ihr denn keine Angst, Euch könnte dasselbe widerfahren wie Eurem Neffen?«
»Ich vertraue darauf, dass mir der König für die restliche Arbeit einen Raum im Palast zur Verfügung stellt, in dem der Matrose und ich in Sicherheit sind.«
Louvois fuhr sich mit einer unwillkürlichen Geste durch die Locken der Perücke.
»Was verlangt Ihr als Gegenleistung für die Partitur?«
Charpentier wusste, dass er gewonnen hatte.
»Zunächst einmal eine private Audienz beim Herrscher.«
»Bewilligt«, lächelte der Minister zufrieden. »Ihr wisst, dass er Eure Musik schätzt, obwohl er nicht begreifen kann, warum Ihr so versessen darauf seid, die enge Beziehung zu Mademoiselle de Guise aufrechtzuerhalten. Wenn Ihr mit ihm persönlich sprechen wollt, um den Preis auszuhandeln, werde ich alles in die Wege leiten.«
»Und an dieser Audienz wird auch mein Neffe Matthieu teilnehmen«, fügte der Komponist mit Bestimmtheit hinzu.
»Der Verrückte aus der Orangerie? Das ist ausgeschlossen!«
»Wie Ihr meint.«
Charpentier schickte sich an zu gehen.
»Wartet!«
»Ich tue dies für ihn, nicht für mich!«, stellte Charpentier klar. »Wenn Ihr erreicht, dass mir der König Matthieus Freiheit gewährt, dann werde ich ihm ein Licht schenken, das tausendmal heller leuchtet als die Sonne, die er so bewundert.«
Damit hatte Louvois nicht gerechnet. Er hatte gedacht, dass es um einen Austausch ging, der mit goldener Münze aufgewogen werden konnte, nach dem bereits bekundeten Interesse wollte er jedoch nur ungern seine Worte zurücknehmen. Mit beinahe greifbarer Nervosität ging er im Raum ein paarmal auf und ab und blieb vor dem erloschenen Kamin stehen.
»Ich werde die Audienz in zwei Tagen ansetzen«, beschloss er endlich. »Und Ihr werdet daran mit Eurem törichten Neffen teilnehmen. Ich werde schon einen Weg finden, den Herrscher zu überzeugen – soll er doch entscheiden, was er mit Euch anfangen will.«
Charpentier nickte.
»Wir sehen uns also übermorgen.«
»Man wird Euch über die Einzelheiten informieren. Und jetzt lasst mich meinen Tee austrinken«, sagte er, aber der Versuch, die Bedeutsamkeit dieser unglaublichen Unterhaltung herabzuspielen, schlug fehl. »Jetzt ist er kalt!«, schrie er plötzlich.
Einer der Diener eilte auf das Tischchen zu und nahm das Tablett an sich. Als er den Salon de Mars verließ, hörte Charpentier hinter sich das Geschirr klappern.
17
M inister Louvois wartete voller Ungeduld auf eine Gelegenheit, dem Herrscher von Charpentiers Enthüllung zu erzählen. Er kündigte an, dass er eine dringende Angelegenheit mit ihm zu besprechen habe, und wurde angewiesen, während des Mittagessens vorstellig zu werden. Als er das Zimmer betrat, verspeiste der König gerade eine Rebhuhnkeule und rührte neugierig in der Pilzsuppe herum, die er dazu gewählt hatte. Er winkte seinen Berater heran, während er sich die Hände an einem feuchten Tuch abwischte, das ihm ein Höfling – dem für einen Tag diese Ehre zuteilwurde – auf einem Silbertablett reichte.
»Welche Angelegenheit ist so wichtig, dass ich
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