Das Geheime Vermächtnis
glatt zurückgekämmtem Haar und in einem sauberen Hemd. Er schlenderte die Main Street entlang, und Caroline sah ihm nach, bis er im Gedränge verschwand.
Die Männer bekamen ihren Lohn ausbezahlt, und das Bündel Banknoten war um kaum ein Drittel dünner geworden. Caroline steckte den Rest wieder in den Stoffbeutel und legte ihn in ihren Kosmetikkoffer. Ihre Hand streifte darin etwas Weiches, und sie holte es heraus. Es war ihre Schmuckrolle aus blauem Samt mit den Smaragden ihrer Mutter und einigen anderen kostbaren Stücken darin. Sie entrollte sie, betrachtete die strahlenden Edelsteine und dachte an den Abend, an dem sie sie zuletzt getragen hatte – bei dem Ball, auf dem sie Corin begegnet war. Wann hatte sie geglaubt, sie hier draußen tragen zu können? Sie wirkten lächerlich in ihrem schlichten Schlafzimmer. Wie leuchtende Treibhausblumen in einem Weizenfeld. Sie hielt sich die Kette vor den Hals und betrachtete sich im Spiegel. Wie völlig anders sie jetzt aussah! So hager, braun gebrannt. Ihre Nase war mit Sommersprossen gesprenkelt, ihr Haar matt und wirr. Sie sah aus wie ein Dienstmädchen, das heimlich den Schmuck seiner Herrin anprobiert, und ihr wurde bewusst, dass sie diese Juwelen vielleicht nie wieder tragen würde. Sie hatten hier auf der Prärie nichts verloren. Sie rollte sie wieder ein und legte sie in den kleinen Koffer. Dann packte sie, ohne weiter darüber nachzudenken, noch einige andere Sachen hinein – etwas saubere Unterwäsche, Blusen, ein Nachthemd mit langen Ärmeln, das zu warm für den Sommer war, ein paar Kämme und Puder. Sie klappte den Deckel zu und die Schließen herunter und wusste selbst nicht, wohin sie glaubte, verreisen zu können.
Im späten August wurde es still auf der Ranch. Hutch, Joe und einige andere Männer waren mit tausend Stück Vieh hinaus ins Grasland gezogen, damit die Tiere ordentlich Fleisch ansetzten, ehe sie auf Züge verladen und nach Norden transportiert wurden, auf die Fleischmärkte in den östlichen Staaten. Viele der Männer, die auf der Ranch zurückblieben, wurden von einer Krankheit geplagt, die sich rasch von einem zum nächsten übertrug. Sie lagen mit zehrendem Fieber und Schüttelfrost danieder. Als Caroline eines frühen Morgens auf der Veranda saß, an nichts dachte und nichts fühlte, sah sie Annie, Joes Schwester, auf Magpies grauem Pony davonreiten. Sie schlug eine östliche Richtung ein und trieb das Pony zu einem flotten Galopp an. Als sie an Caroline vorbeiritt, sah diese tiefe Sorgenfalten auf dem Gesicht der Ponca. Caroline sah ihr nach, bis sie außer Sicht war; dann überlegte sie eine Weile, bis ihr auffiel, dass sie Magpie seit dem gestrigen Nachmittag nicht mehr gesehen hatte. Sie stand auf und ging langsam über den Hof.
Die Erdhütte war heiß und von einem widerlichen Geruch erfüllt. Magpie lag still auf dem Bett, und William brabbelte und quengelte in der Babytrage aus Stroh vor sich hin, die Caroline ihm gekauft hatte. Von dem Baby stieg der unverkennbare Geruch von Urin und Fäkalien auf, und darunter lag ein ekelhafter, metallischer Gestank, der in Caroline eine instinktive Angst auslöste. Mit klopfendem Herzen kniete sie sich neben Magpie und schüttelte sie sacht. Das Gesicht der jungen Frau war hochrot und trocken. Als sie die Augen aufschlug, waren sie seltsam glasig und glänzend, und Caroline wich ängstlich zurück.
»Magpie, bist du krank? Wo ist Annie hingeritten?«, stieß sie hervor.
»Ja, ich bin krank. White Cloud auch. Ihre Medizin hat uns nicht geheilt«, flüsterte Magpie. Neben dem Bett stand ein Holzbecher, und Caroline griff danach. Er enthielt irgendein Gebräu, das scharf und essigartig roch. Sie hielt ihn Magpie hin, doch die wandte schwach den Kopf ab. »Nicht noch mehr von diesem Zeug. Nichts mehr davon«, flüsterte sie.
»Wenn du Fieber hast, musst du etwas trinken«, sagte Caroline. »Ich hole dir Wasser. Du musst aufstehen, Magpie. William braucht eine frische Windel …«
»Ich kann nicht aufstehen. Ich kann ihn nicht wickeln«, erwiderte Magpie so kläglich, dass Caroline zögerte. »Sie müssen das machen. Bitte.«
»Aber ich weiß nicht, wie das geht!«, sagte Caroline. »Warum hast du mich nicht benachrichtigen lassen, dass du krank bist?« Magpie sah sie an, und Caroline las die Antwort in ihrem Blick. Weil keine von ihnen geglaubt hatte, dass Caroline ihnen eine Hilfe sein könnte. Tränen traten ihr in die Augen. »Ich mache ihn sauber. Und ich hole dir Wasser«, sagte
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