Das Geheime Vermächtnis
Sein Name fuhr in diesen Hohlraum wie ein Donnerschlag. Leicht schwankend schüttelte Caroline den Kopf, und die Leere kehrte zurück.
Bathilda war dicker geworden, das Haar an ihren Schläfen weißer, doch ansonsten hatten die zwei Jahre, seit sie einander zuletzt gesehen hatten, sie nicht sehr verändert. Sie saß auf einem Brokatsofa, eine Tasse Tee in der Hand, und starrte ihre Nichte mehrere Sekunden lang erstaunt an.
»Du meine Güte, Caroline! Ich hätte dich gar nicht erkannt, wenn du mir nicht gemeldet worden wärst!«, rief sie schließlich aus, zog die Augenbrauen hoch und nahm ihre altvertraute, frostige Haltung an.
»Tante Bathilda«, sagte Caroline mit leiser, tonloser Stimme.
»Dein Haar ist etwas wirr. Und du bist ganz braun gebrannt! Katastrophal. Das steht dir ganz und gar nicht.«
Caroline nahm diese Kritik hin, ohne mit der Wimper zu zucken, und sagte kein Wort, während Bathilda an ihrem Tee nippte. Sie war sich bewusst, dass ihr Herz schwer und langsam schlug, genau wie damals, als sie Corin von der Kojotenjagd nach Hause gebracht hatten. Dies war eine andere Art von Tod, doch ein Tod war es gleichviel.
»Nun, welchem Umstand verdanke ich diese Ehre? Wo ist dein Viehtreiber von einem Ehemann? Hat er sich deiner Übersee-Expedition nicht angeschlossen?«
»Corin ist tot.« Sie sprach diese Worte zum ersten Mal aus, und Tränen brannten ihr in den Augen. Bathilda nahm diese Neuigkeit einen Moment lang schweigend auf, dann gab sie nach.
»Komm und setz dich, Kind. Ich lasse gleich mehr Tee bringen«, sagte sie mit sanfterer Stimme.
Bathilda übernahm die Kontrolle über Caroline und schien sich recht gern um sie zu kümmern, nun, da die junge Frau nicht mehr trotzig, sondern folgsam und gebrochen war. Caroline kehrte am Nachmittag ins Hotel zurück, um ihr Gepäck zu holen, und zog in ein Gästezimmer in dem hellgrauen Stadthaus mit der schmucken roten Tür. Sie wurde der Hausherrin vorgestellt, Bathildas angeheirateter Cousine Mrs. Dalgleish, die dünn und spröde war und einen mäkeligen Blick und schmale, steife Lippen hatte.
»Wo ist Sara?«, erkundigte Caroline sich hoffnungsvoll.
Bathilda schnaubte nur. »Das dumme Mädchen hat einen Lebensmittelhändler geheiratet. Vergangenes Jahr hat sie gekündigt«, sagte sie.
Caroline sank der Mut noch ein wenig mehr. »Liebt sie ihn denn?«, fragte sie sehnsüchtig. »War sie glücklich?«
»Das weiß ich nun wirklich nicht. Also, wenden wir uns dringenderen Angelegenheiten zu«, ging ihre Tante darüber hinweg.
Bathilda brachte Caroline zur Bank und ließ ihr Geld von der Bank ihrer Eltern in New York auf ein Konto in England transferieren. Sie akzeptierte Carolines Geschichte, all ihre alten Kleider seien auf der Ranch ruiniert worden, und ging mit ihr einkaufen. Gemeinsam besuchten sie einen Frisiersalon, wo die ausgefransten Spitzen und wilden Strähnen von Carolines Haar getrimmt, gezähmt und in ordentlichen Locken an ihren Kopf gelegt wurden. Bei einem Apotheker wurde Sulpholine-Lotion bestellt, die auf Carolines Gesicht und Hände aufgetragen wurde, schrecklich brannte und ihre unfein gebräunte Haut bleichte. Fingernägel wurden geformt und poliert, Schwielen und Hornhaut mit Bimsstein bearbeitet. Und zum ersten Mal seit über einem Jahr wurde Carolines zierlicher Körper wieder fest in ein Korsett geschnürt.
»Du bist zu dünn«, sagte Bathilda tadelnd, als sie das Endprodukt all dieser Verschönerungsbemühungen begutachtete. »Gab es nichts zu essen da draußen in der Wildnis?« Caroline überlegte gerade, was sie darauf antworten sollte, als Bathilda schon fortfuhr: »Nun, du bist beinahe wieder gesellschaftsfähig. Selbstverständlich wirst du wieder heiraten müssen. Zwei Witwen in diesem Haushalt sind bereits mehr als genug. Ich kenne genau den richtigen Gentleman, und er weilt sogar gerade in der Stadt, um sich die neuesten Mädchen anzusehen. Ein Baron, bitte sehr – reich an Land und arm an Geld, mit dringendem Bedarf an einem Erben. Er würde dich zu einer Lady machen … von der Farmersfrau zur Adeligen binnen weniger Monate! Wäre das nicht eine großartige Lösung?«, rief Bathilda aus, ergriff Carolines Schultern und zog sie ein wenig straffer nach hinten. »Allerdings – obgleich er selbst nicht mehr der Jüngste ist, bevorzugt er bekanntermaßen frische junge Dinger … nicht die weltmüden Witwen hinterwäldlerischer Viehhirten. Es wäre wohl das Beste, wenn wir deine unselige erste Ehe niemandem gegenüber
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