Das Geheimnis am goldenen Fluß
Gerüche, die Geschmäcker. Ich habe jeden Tag versucht, die Welt mit Malerei und Gedichten nachzuempfinden, aber jetzt sehe ich, wie dumm meine Bemühungen waren. Wie könnte ich jemals etwas so Grenzenloses im Käfig meiner Erinnerungen einfangen?«
»Es ist schön, dich in so guter Laune zu sehen«, sagte Mason. »Ich freue mich für dich.«
Tree sorgte sich um K’un-Chien. Für sie bestand kein Zweifel, dass K’un-Chien die schönste Frau der Stadt war – eine kühne Behauptung angesichts der Vielzahl wunderschöner Frauen, die sich auf dem steinigen Feld versammelt hatten. Dennoch, K’un-Chien stach heraus wie ein seltener blauer Diamant auf einem Tuch voller Halbedelsteine.
Mason stand in der Mitte des Trios, seine beiden Frauen an den Händen haltend.
»Ich habe Angst, Mason«, sagte Tree auf Englisch.
»Ich auch, Baby. Aber vergiss nicht, Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und niemand liebt K’un-Chien so sehr wie wir.«
Die letzten Wochen waren für Tree und Mason eine glückselige Zeit der Wiedervereinigung gewesen. Sie war schwanger geworden, was ihnen kostbare Zeit gebracht hatte, um einen neuen Fluchtplan zu schmieden. Mason hatte Tree gebeten, ihn wieder zu heiraten, und Tree hatte entgegnet, sie habe sich im Herzen nie von ihm scheiden lassen. »Du warst für mich immer der einzige Mann«, hatte sie gesagt, und Mason hatte vor Freude geweint.
»In den letzten paar Tagen sind mir einige Wahrheiten klar geworden, die mich für den Rest meines Lebens begleiten werden«, hatte er ihr eines Abends gesagt, nachdem er von einem langen Spaziergang zurückkam. »Jahrelang habe ich mit aller Kraft versucht, Liebe harmlos zu machen, etwas, das mich unversehrt lässt, aber Liebe ist niemals harmlos. Liebe ist die Wunde, nicht die Narbe. Liebe ist der Riss in der Membrane unseres individuellen Lebens, durch den die Welt in uns eindringt – Freude und Schmerz gleichermaßen. Die Wunde kann nicht heilen und immer noch Liebe sein. Die Heilmittel gegen Verletzlichkeit sind Empfindungslosigkeit und Tod. Sobald ich zuließ, dass mein Herz vollends brach, und ich mich damit nicht länger vor dem Leben verschloss, war es, als würde ich neu geboren.«
Danach hatte er sie in die Arme genommen und ihr zwischen zwei Küssen zugeflüstert: »Aber jetzt habe ich keinen Schutzwall mehr gegen die Liebe. Ich bin völlig aufgelöst. Du könntest mich trinken wie Wein.«
»Mmmmm«, hatte sie gehaucht, »ist das eine poetische Aufforderung?« Dann hatte sie sein Gewand geöffnet und war vor ihm auf die Knie gegangen.
Nun, da sie wieder miteinander schliefen, fragte Tree sich, wie sie es so lange ohne ihn ausgehalten hatte, ohne seinen männlichen Geruch, ohne das Gewicht seines Körpers auf ihrem, ohne seine lustvollen Blicke, die sie noch feuchter machten. Auf dem Höhepunkt der Leidenschaft war Masons Gesicht eine Maske purer Lust, die, so wusste sie, ihr eigenes Empfinden widerspiegelte – er sah aus wie ein schmerzgepeinigter Engel. Sie liebte dieses Gesicht, seines und ihres; es war ein und dasselbe. Acht lange Jahre hatte sie darauf gewartet, diesen Ausdruck der Ekstase zu sehen.
Dankbar drückte Tree seine Hand.
Doch sie hatte nicht die Gefahr vergessen, die ihr Schwur an die Kaiserin barg: Ich bin auch eine Mutter-von-Söhnen. Ihr Baby musste ein Junge sein, sonst würden sein und ihr Leben am Tag seiner Geburt enden.
Es war schon ironisch. Vor Jahren, vor Vietnam, als sie und Mason zum ersten Mal über gemeinsame Kinder gesprochen hatten, hatten sie beschlossen, dass sie sich keinem Ultraschall-Test unterziehen würde, um das Geschlecht des Babys zu erfahren. Ihnen gefiel der Gedanke, sich überraschen zu lassen. Jetzt würde sie ein Ultraschall-Gerät freudig abküssen, wenn es ihnen nur schon das Geschlecht verriete.
Aller drohenden Gefahr zum Trotz hatten sie und Mason über die althergebrachten Methoden der Geschlechtsvorhersage für Babys gescherzt. Wenn ein Pendel über dem Bauch rotiert, ist es ein Junge; schwingt das Pendel auf einer Linie, ist es ein Mädchen. Ist der Bauch der Mutter eher spitz, ist es ein Junge; ist der Bauch eher rundlich, ist es ein Mädchen. Jede dieser Vorhersagen bewahrheitete sich in der Hälfte der Fälle.
Medizinische Ratespiele erwiesen sich als etwas verlässlicher: Mason hatte ihr erzählt, der sicherste Hinweis sei die Herzfrequenz des Babys: Das normale Spektrum liegt bei 120 bis 160 Schlägen pro Minute; Babys mit eher niedrigen Frequenzen von 120 bis
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