Das Geheimnis am goldenen Fluß
das größere Opfer.«
Die Kaiserin stand schweigend da und musterte Tree. Die Zeit dehnte sich. Die Goldknöpfe auf dem königsgelben Gewand stellten kämpfende Hengste dar, und einen Augenblick lang schienen sich die beiden wiehernden Pferde aufzubäumen und zuzubeißen.
»Dann möge es so sein«, sagte die Kaiserin schließlich. »Meine Schwiegertochter mit dem goldenen Haar wird die neue Kaiserin werden.«
Die Kaiserin reichte Tree die rote Lotusblüte.
41
Mason stellte sich vor Tree. »Zum Teufel damit.«
Zwei Schwerter wurden aus ihren Scheiden gerissen und flogen an seiner Kehle hoch. Er stand auf Zehenspitzen, den Kopf tief im Nacken.
»Erlaubt mir, Euch höflichst darauf hinzuweisen, dass Ihr Euch über Erste Frau täuscht«, sagte K’un-Chien mit ruhiger Stimme. »Habt Ihr vergessen, wo sie ihre Hässlichkeit verbirgt? Schaut Euch ihre Brüste an. Sie sind mit braunen Flecken gesprenkelt, wie Schlammspritzer.«
»Ich erinnere mich – ich sah es bei unserer ersten Begegnung«, sagte die Kaiserin. »K’un-Chien hat Recht.«
Yu Lin riss Trees Kimono auf und sah die Sommersprossen auf ihrem Busen. Sie runzelte die Stirn. »Wie eine Töpferarbeit mit schlampiger Glasur.«
Die Kaiserin schüttelte den Kopf. »Aber K’un-Chien können wir nicht auswählen, auch sie ist nicht makellos.«
»Ich habe eine Lösung«, sagte Meng Po mit lauter Stimme und lief aus dem Pavillon den Hügel hinunter. Er stand in einem gelben Satingewand vor ihnen und klang und wirkte sehr erwachsen für sein Alter. »Ich werde die Frau heiraten, die Ihr soeben als Zweitbeste abgelehnt habt, das schöne Mädchen mit der weißen Haut und den blutroten Lippen«, sagte er. »Das macht sie zu Eurer Schwiegertochter, Mutter, zu einem Mitglied Eures Stammbaums. So könnt Ihr sie zur neuen Kaiserin bestimmen, und Eure Vision kann sich erfüllen. Meiner Ersten Frau ist bestimmt, den Lung-Hu zur Welt zu bringen.«
»Ja«, sagte die Kaiserin. »Wunderbar. Das ist die beste Lösung. Du bist sehr weise, mein junger Sohn.«
»Aber nur unter einer Bedingung«, sagte Meng Po. »Wenngleich ich noch nicht zum Mann herangereift bin, werde ich nicht länger in dem unsäglichen, einsamen Käfig leben. Ich werde mit meiner Braut in meinem Palast wohnen, und mir wird erlaubt, mich ungehindert im Tal zu bewegen – innerhalb und außerhalb der Stadtmauern.«
Die Kaiserin zögerte. Meng Po verschränkte die Arme. »Ich habe gesprochen«, sagte er in kaiserlichem Tonfall.
»Einverstanden«, sagte die Kaiserin schließlich.
Die Soldatinnen nahmen ihre Schwertspitzen von Masons Kehle. Die junge Frau wurde aus der Menge zurückgerufen.
»Wie ist dein Name?«, fragte die Kaiserin sie.
»Hsiao Pi«, sagte das Mädchen mit bebender Stimme.
»Hsiao Pi, du wirst meinen Sohn heiraten, den Kaiser. Dies ist mein letzter Befehl als deine Herrscherin. Von diesem Tage an sollst du selbst Kaiserin sein.« Die Frau hinter der Maske reichte ihr die rote Lotusblüte. »Beim nächsten Vollmond wirst du deinen Opfergang antreten. Möge das Opfer deiner kostbaren Schönheit uns allen Glück bringen.«
Hsiao Pi schluckte und nahm mit zitternden Fingern die Blume entgegen.
Die blutroten Blüten flatterten wie Trees Herz.
42
Mason rannte durch den grasbewachsenen Innenhof des Kaiserpalastes, sprang über eine niedrige Sitzbank und fing das Frisbee zwei Zentimeter über der Grasnarbe. Kiki quietschte wie ein rostiges Gartentor, der Laut, mit dem er Freude zum Ausdruck brachte.
»Schlecht geworfen, hervorragend gefangen«, sagte Meng Po und applaudierte.
»Deine Würfe werden immer besser«, sagte Mason. »Aber vergiss nicht: Die Scheibe erst loslassen, wenn dein Arm voll ausgestreckt ist.«
Mason warf das orangefarbene Frisbee zu dem Jungen zurück. Die Scheibe sauste über Kiki hinweg, und der Weisheitsaffe sprang hoch und versuchte sie zu schnappen, dann kurvte sie plötzlich in Meng Pos Hand hinunter; er fing sie, ohne seine Füße zu bewegen. Wieder quietschte Kiki vor Freude und drehte zwei Pirouetten.
»Du gehst mit Frisbees um wie K’un-Chien mit Pfeil und Bogen«, sagte Meng Po, »du triffst immer dein Ziel. Aber aus meinen Händen abgefeuert, schwirren Pfeile und Frisbees wie Schmetterlinge durch die Gegend.«
»Wenn du die Scheibe beim Loslassen waagerecht hältst, fliegt sie geradeaus«, sagte Mason. »Wenn du sie schräg hältst, fliegt sie nach links oder rechts, je nach Neigungsrichtung.«
»Ich glaube dir ja, aber meine Finger gehorchen
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