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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Canter Mark
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haltend. Zehn Meter entfernt, unter Wasser, sprangen die Augäpfel aus Dominos Gesicht. Seine Zähne waren zu einer makaberen Maske des Stromtodes zusammengebissen.
    Tree riss Mason an seinem Gürtel ans sumpfige Ufer zurück. Schwer atmend, die Hände auf den Knien, sackte Mason in sich zusammen. Sie starrten auf die versunkene Leiche im Flussbett.
    »Das waren – keine Schlangen«, sagte Mason keuchend, »… sondern Elektrische Aale.«

47
    Die Strömung zerrte an Dominos Leiche; sie trieb langsam flussabwärts, die Gliedmaßen erschlafft.
    »O Gott«, sagte Mason. Er sah zu Tree zurück. »Was ich sagte – darüber, dass ich ihn umbringen wolle. Das habe ich nicht so gemeint – glaube ich jedenfalls.«
    »Du konntest nichts dafür«, sagte Tree und nahm seine Hand.
    Mason fiel ein, was er über den Electrophorus electricus, den Elektrischen Aal, gelesen hatte. Sein Lebensraum beschränkte sich auf den Amazonas und den Orinoko und die zahlreichen Nebenarme der beiden Flüsse. In einem kleinen Radius konnte ein einziger Aal ein sechshundert Volt starkes elektrisches Feld generieren – genug, um einen Menschen ohnmächtig zu machen. Mehrere Aale gleichzeitig hatten mühelos Dominos Herz zum Stillstand gebracht.
    Ihm fiel ein chinesisches Sprichwort ein: Oft trifft das Schicksal einen dort, wo man ihm zu entfliehen versucht.
    »Diese Ling-Chih-Visionen sind mir nicht geheuer«, sagte Mason. »Domino sah dies kommen – aber wie? Wie, zum Teufel, funktioniert es? Und was bedeutet das für Raum und Zeit?«
    »Mason, komm, setz dich zu mir.« Tree nahm seine Hände. »Meine Vision ist ebenfalls wahr geworden. Ich sah, dass ich K’un-Chien auf – sexuelle Weise lieben würde. Aber es ist nicht das, was du wahrscheinlich denkst.«
    »Ich glaube, ich kann es nachvollziehen. Sie ist eine wunderschöne Frau; ihr beiden seid wie zwei verschwisterte Schwäne –«
    »Nein, genau das meine ich – es ist kein lesbisches Begehren, das ich für sie empfinde. Es ist eher wie …« Tree holte tief Luft. »Ich verstehe es selbst nicht, aber ich empfinde dasselbe Verlangen nach ihr, das ich für dich empfinde. Ich weiß, dass das seltsam klingt. Ist dir jemals K’un-Chiens maskulines Wesen aufgefallen? Ich fühle mich zu ihr hingezogen wie zu einem Mann.«
    »Schon, aber zugleich ist sie sehr, sehr weiblich. Ich fühle mich definitiv zu ihr als Frau hingezogen. Andererseits … Yeah, sicher habe ich bei ihr eine gewisse maskuline Energie verspürt. So wie eben gerade. Sie lässt sich durch nichts davon abhalten, Kiki nach Hause zu bringen.«
    »Aber es ist nicht nur ihr Mut –«
    »Stimmt. Wir beide kennen mutige Frauen, starke Frauen.« Mason lächelte. »Eine sitzt neben mir. Nein, du hast Recht, es ist mehr als das«, sagte er. »Mir ist das fast von Beginn an aufgefallen.«
    Tree zuckte mit den Schultern. »Nenn es Männlichkeit, ein besseres Wort fällt mir nicht ein.«
    »Ja, aber auch Weiblichkeit. Oder willst du behaupten, dir fiele ihre weibliche Energie nicht auf?«
    »Machst du Witze? Sieh sie dir an.«
    K’un-Chien saß höher am Ufer und wiegte Kiki in den Armen wie ein Baby, ihm leise ein Lied vorsingend; Hsiao Pi lag auf dem Rücken, ihr Kopf auf K’un-Chiens Schoß.
    »Sie ist so weiblich, wie eine Frau nur sein kann«, sagte Tree, »und gleichzeitig ist sie so maskulin wie –«
    Sie hörten auf zu reden und starrten beide zu K’un-Chien hoch.
    »Oh, mein Gott«, entfuhr es Tree. Sie riss die Augen auf und schlug die Hände an die Wangen.
    »Unfassbar«, sagte Mason. »Gerade geht mir ein Licht auf.«
    »Sie ist der Lung-Hu.«
    »Wie konnten wir das nur übersehen?« Ihm wurde schwindlig, als sein Geist versuchte, eine Vielzahl widerstreitender Gefühle abzuwägen.
    Mason sah, dass Kiki in K’un-Chiens Armen eingeschlafen war. Er versuchte, sich zwischen ihren langen Beinen einen Penis vorzustellen. Und eine Vagina und eine Gebärmutter. Sie konnte schwanger werden; ihre Brüste konnten anschwellen und Milch produzieren. Und sie konnte Tree schwängern. K’un-Chien war Hermes und Aphrodite in einem. Nun, wo er es wusste, schien es die ganze Zeit offensichtlich gewesen zu sein – die dynamische Vereinigung zweier Gegensätze. Aber wie sollte der Geist ein solches Phänomen fassen? K’un-Chiens Körper ging über die menschliche Biologie hinaus, die sich über Millionen von Jahren entwickelt hatte. Die Menschen in Jou P’u T’uan erwarteten den Lung-Hu als einen Halbgott – und

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