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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Canter Mark
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plötzliche, deutlich sichtbare Vision:
    Tree betrachtete ihre Hände, die ein ihr unbekanntes, sitar ähnliches Rosenholz-Instrument spielten, das vor ihr auf dem Boden lag. In dem tiefen Klangkörper hingen Reihen von Quarzkristallen, einige erbsengroß, andere lang wie ein Finger; jedes Mal, wenn sie eine Saite zupfte, vibrierten die Kristalle und erschufen vielschichtige, bezaubernde Harmonien, eine Musik aus klingenden Edelsteinen.
    Sie studierte ihre Hände und wunderte sich, wie gut ihr linker Daumen verheilt war. Sie konnte nirgendwo eine Narbe entdecken. Dann fiel ihr ein, dass der Daumen bei dem Hubschrauberabsturz abgerissen worden war: Sie dürfte keinen linken Daumen haben. Und doch zupfte ihr linker Daumen die Basssaiten, die dick wie die einer Harfe waren.
    Eine wunderschöne Mezzosopranstimme erklang, hell und mit leichtem Vibrato, wie eine Oboe, und die Kristalle begleiteten sie. Sie wandte sich um und sah, dass K’un-Chien sang und sie auf einer qin begleitete, einer siebensaitigen chinesischen Zither. K’un-Chien lächelte sie zärtlich an, hingebungsvoll und verletzlich, und etwas strömte zwischen den Körpern der beiden Frauen hin und her, als bestünde Tree aus Zink und K’un-Chien aus Kupfer.
    Allmählich begann Tree, wieder ihre Umgebung wahrzunehmen; sie lag auf dem Rücken auf der Reismatte in der kleinen strohgedeckten Hütte, ihr Kopf auf K’un-Chiens Schoß. Sie schlug die Augen auf.
    »Gut geschlafen?«, fragte Mason. »Du bist ausgegangen wie eine Lampe.«
    Tree setzte sich auf und wollte etwas sagen, schüttelte aber nur verwundert den Kopf.
    K’un-Chien nickte ihr wissend zu. »Du hast eine Vision gehabt.«
    »Ja – eine Vision – aber ich verstehe sie nicht.«
    »Hast du dich vor der Vision gefühlt, als würdest du sehr schnell fliegen?«
    »Ja, ja.« Sie sah Mason an. »Ich fühlte mich wie ein Signal, das mit Lichtgeschwindigkeit durch eine Zillion Telefondrähte rast. Aber ich weiß nicht, wie ich ihr das beschreiben soll.«
    »Bist du nach außen geflogen«, fragte K’un-Chien, »oder nach innen?«
    »Nach außen. Explodiert.« Tree warf die Arme hoch.
    K’un-Chien nickte. »Wenn man nach innen fliegt, begegnet man seinen Vorfahren. Fliegt man nach außen, sieht man seine Zukunft.«
    »Aber – meine Hand. Ich hatte wieder einen Daumen.«
    K’un-Chien lächelte. »Sehr gut. Das bedeutet, dass der Pilz sich mit deinem chih – deiner Lebensenergie – vereint hat und sie einen neuen Daumen gebären werden.«
    »Einen neuen Daumen …?«, sagte Mason.
    Tree nahm seine Hand. »In meiner Vision spielte ich ein – ein sitarähnliches Instrument. Die Wunde an meiner Hand war nicht nur verheilt, ich hatte sogar einen Daumen. Einen intakten Daumen.«
    Mason zuckte mit den Schultern. »Das war ein Traum.«
    »Nein. Es war anders als ein Traum. Völlig real.«
    »Aber dein Daumen … Er wurde vollständig abgerissen. Er ist weg.«
    »Zuerst vereinigt sich der Pilz mit dem chi«, sagte K’un-Chien, »dann liest er die persönliche Schrift des Betreffenden, um alte Organe zu regenerieren oder neue zu bauen.«
    Tree und Mason wechselten verwirrte Blicke.
    »K’un-Chien, sagst du, dass dieser Pilz Menschen befähigt, lebendes Gewebe zu regenerieren?«
    »Ja, Ehemann. Der Pilz wird ihr chi dazu bringen, einen neuen Daumen wachsen zu lassen, gemäß ihrer persönlichen Schrift.«
    Mason runzelte die Stirn. »Ist das wahr? Was, wenn … Mein Gott, wenn das wahr ist …«
    K’un-Chien schlug die Augen nieder. »Ehemann, ich würde dich niemals belügen.«
    »Nein, nein, natürlich nicht. Ich glaube dir.« Mason wandte sich zu Tree: »Erklär ihr, dass ich sie nicht beleidigen wollte. Es ist bloß … Nichts, was ich in meiner medizinischen Ausbildung gelernt habe, ist hiermit zu vergleichen. Die Fähigkeit, neues Gewebe wachsen zu lassen. Das ist – das ist …«
    »Sind bei anderen Finger und Daumen nachgewachsen?«, fragte Tree.
    K’un-Chien lächelte. »Beine, erste Frau. Arme. Solange man nicht tot ist, kann man alles nachwachsen lassen.«
    Trees Kinnlade klappte herunter, und Mason musste sich mit den Händen auf der Matte aufstützen. »Mein Gott«, flüsterte er. »Das ist mehr … Tree, worauf sind wir hier gestoßen?« Er hob Trees verletzte Hand und betrachtete sie. Der Großteil des Schleims war in das wunde Fleisch eingezogen; nur ein mattgelber Film war übrig.
    »Du sagtest, der Pilz lese die persönliche Schrift des Betreffenden«, sagte Tree zu

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