Das Geheimnis am goldenen Fluß
freies Geleit durch das Kopfjäger-Territorium erkaufen. Wir würden auch ein paar Waffen brauchen – Bogen, Speere, Messer …«
Tree schauderte. »Das macht mir Angst.«
»Wenn wir es zum Canori schaffen und am Ufer entlang nach Norden laufen, stoßen wir früher oder später auf Wawajero-Dörfer«, sagte er. »Sie können uns einen Einbaum und Proviant geben, und sobald wir den Paragua erreichen, würden wir in östliche Richtung paddeln, nach La Paragua. Oder besser noch, falls wir stark genug sein sollten, paddeln wir weiter nach Norden bis Ciudad Guayana; das sind noch mal hundertsechzig Kilometer oder so, aber es gibt dort eine kleine Landebahn.«
Tree seufzte. Ihr schien es viel simpler, wenn Mason sie einfach auf den Futon zurückdrückte und mit ihr schliefe. Das ist die Flucht, die ich heute Nacht brauche.
Doch sie sagte nichts. Es machte keinen Sinn. Sie hatte ihre Lektion vor Jahren gelernt, als Mason aus Vietnam zurückgekehrt war: Je mehr sie ihn bedrängte, mit ihr zu schlafen, desto mehr zog er sich von ihr zurück. Damals war ihm jedes Mal, wenn sie zu kuscheln begonnen hatten, plötzlich übel geworden, oder er war in Panik geraten und hatte wie ein Erstickender nach Luft gerungen. Trotzdem hatten sie es irgendwie geschafft, einige Male miteinander zu schlafen; doch es waren nur traurige Parodien ihrer früheren, in Leidenschaft verlorenen Nachmittage gewesen. Wenn nichts anderes dazwischengekommen war, mangelte es Mason an Erektionsstärke – Mason, der Mann, der so ausdauernd gewesen war, dass sie ihn ihren ›Sibirien-Express‹ genannt hatte. Bald hatte sich das Problem so sehr verschlimmert, dass er im Bett nichts mehr zustande brachte. Trotzdem war klar, dass die Ursache seiner Impotenz psychischer, nicht körperlicher Natur war, denn er erwachte nach wie vor jeden Tag mit seiner berühmten Morgenerektion von der Größe einer Spielzeug-Lokomotive der Baugröße 0.
Vietnam hatte die Art Liebhaber zerstört, von der Frauen fantasierten, während sie mit der Duschbrause herumhantierten. Natürlich war das noch der geringfügigste Teil der Tragödie. Vietnam hatte Masons Geist gebrochen, den süßesten maskulinen Geist, dem sie je begegnet war. Und Vietnam hatte ihren Bruder umgebracht. Und auf geheimnisvolle Weise hingen Gibs Tod und der Tod ihrer Ehe miteinander zusammen.
Sie rollte sich auf den Rücken und starrte zu den Porzellankacheln an der Decke des runden Raumes hoch. In einem sich wiederholenden Blockmuster schufen die Kacheln vier sich spiegelverkehrt gegenüberliegende Swastikas, dazwischen sechszackige Sterne aus übereinander liegenden Dreiecken.
Als Mason das Kachelmuster zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er gefragt: »Was zum Teufel soll das denn? Nazis und Juden?«
»Nein, das hat damit nichts zu tun«, hatte Tree gesagt. »Vergiss nicht, dieses Volk ist seit dem vierzehnten Jahrhundert völlig isoliert. Es hat nichts vom Zweiten Weltkrieg mitbekommen.«
»Yeah, ich weiß. Aber woher … Seltsamer Zufall.«
»Beide Symbole sind Archetypen; es gibt sie seit ewigen Zeiten«, hatte Tree gesagt. »Swastika ist ein Sanskrit-Wort und heißt ›Wohlergehen‹. Es ist ein altindisches Sonnen- und Fruchtbarkeitszeichen. Man sieht es überall in hinduistischer und buddhistischer Kunst. Selbst die Hopi-Indianer benutzten es.«
»Und der Davidstern?«
»Genau dasselbe. Ist vor viertausend Jahren in der asiatischen Kunst aufgetaucht.«
»Tja, daran muss man sich erst mal gewöhnen. Wäre Barry hier, er könnte es nicht fassen.«
»Stimmt.«
Etwas später hatte er gesagt: »Was du gerade erzählt hast, erinnert mich an Gib. Solche Sachen haben ihn fasziniert.«
Sie hatte gelächelt. »Von wem habe ich das alles wohl?«
An ihrem ersten Abend in der Stadt waren vor K’un-Chiens Hütte Soldatinnen erschienen und hatten die Neuankömmlinge zu ihrem eigenen privaten Palast geführt. Die Kaiserin hatte angeordnet, die beiden als Ehrengäste zu behandeln.
»Ehrengäste, bis wir irgendwie Mist bauen«, hatte Mason gesagt, »das ist es, worauf sie zählt. Dann werden wir den Piranhas zum Fraß vorgeworfen.«
Als Masons Zweite Frau war es K’un-Chien gestattet, mit ihnen in den Palast zu ziehen. Zum ersten Mal seit sechs Jahren konnte sie in ihrem eigenen Zimmer in einem echten Holzbett schlafen, statt auf einer Wolldecke auf dem Boden einer winzigen Holzhütte. Und doch hatte K’un-Chien sie gebeten, am Fuße ihres Betts auf einer Strohmatte schlafen zu dürfen.
»Lange
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