Das Geheimnis der Äbtissin
Fleisch« und »zu viel getrunken« auf. Man machte ihr Platz, als sie sich näherte. Beringar kam ihr entgegen. »Schnell, du musst helfen! Es geht ihm nicht gut!«
Sie erschrak. »Dem Kaiser?« Eine Magenverstimmung Seiner Hoheit beim Festmahl ihres Vaters war keine gute Empfehlung.
»Nein, dem Bischof.« Noch immer verstand sie nicht. Hatte sie den roten Mantel des Erzbischofs nicht eben unter den Männern gesehen? Beringar zerrte sie weiter. An der windgeschützten Seite der Kirche, etwas abseits von der Tafel, hatte jemand einen Umhang im Gras ausgebreitet. Darauf lag – sie riss die Augen auf, als sie ihn erkannte – Bischof Konrad. Seine Blicke wanderten unstet umher und versprühten Misstrauen, als sie sich über ihn beugte.
»Lasst mich!«, murmelte er gequält.
»Schwester Judith, könnt Ihr ihm helfen?« Der Kaiser selbst stand plötzlich neben ihr.
Sie kniete nieder. Das Stimmengewirr um sie herum irritierte sie. »Könntet Ihr uns etwas Ruhe verschaffen?«, bat sie den Kaiser.
Als hinter ihr die Befehle erklangen, konzentrierte sie sich auf den Bischof. Sein Gesicht war so weiß wie frische Milch, und feine Schweißtröpfchen perlten auf seiner Stirn. Sie öffnete sein Hemd. Er zuckte zusammen und schob ihre Hände weg.
»Keine Sorge, ich bringe Euch nicht um, ich fühle nur nach Eurem Herzen«, beruhigte sie ihn. Auch seine Brust war feucht von kaltem Schweiß. Unter dem festen Brustmuskel schlug das Herz holprig, mal schneller, als wollte es davonstürmen, dann wieder beängstigend langsam.
»Hattet Ihr schon einmal solche Probleme?«
Er schüttelte den Kopf, richtete sich plötzlich hastig auf und übergab sich würgend ins Gras. »Lasst mich in Ruhe, das wird schon wieder! Wahrscheinlich war das Fleisch verdorben, das Euer Vater hat vorlegen lassen! Ich hatte gleich das Gefühl, dass es seltsam schmeckte«, presste er mühsam hervor, ehe er auf den Umhang zurücksank.
»Euer Herz findet nicht mehr den richtigen Rhythmus. Das dürft Ihr nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich schlage vor …«
Konrads Augen verengten sich. »Schweigt endlich und verschwindet! Ich werde mein Leben nicht in Eure Hände legen!«, zischte er.
»Ich habe mir nichts vorzuwerfen, Bischof. Könnt Ihr das von Euch auch sagen? Vielleicht denkt Ihr ernsthaft darüber nach, denn wenn Ihr Euch nicht helfen lasst, werdet Ihr schon bald an anderer Stelle Rechenschaft über Euer Tun ablegen müssen.«
Er sah sie wütend an und stöhnte. Erneut musste er sich übergeben.
Judith stand auf und trat ein paar Schritte zurück, wo der Kaiser wartete. »Was ist mit ihm?«
»Ich glaube, es ist sein Herz. Er vertraut mir allerdings nicht. Es ist besser, Ihr schickt nach Eurem Leibarzt.«
Friedrich betrachtete sie einen Augenblick lang prüfend, dann nickte er. »Ihr habt sicher recht. Bleibt trotzdem bei ihm, bis der Maure hier ist.«
Sie veranlasste, dass der Bischof in das Hospital des Klosters gebracht wurde, wo ihn die Mönche in ein Bett legten und ihm trotz seines schwachen Protestes die Schuhe und die Überkleider auszogen. Sie bat um eine Schüssel, die sie ihm hielt, als er grüne Galle hervorwürgte. Sie sah ihm an, dass er sie am liebsten in die Hölle geschickt hätte, aber er hatte keine Kraft, sich zu wehren. Seine Muskeln versagten den Dienst und begannen zu zittern. Er bekam Gänsehaut, und seine Zähne schlugen aufeinander. In seinen Augen nistete sich Panik ein. Er schien zu begreifen, dass verdorbenes Essen als Ursache nicht in Frage kam.
»Bringt mehr Decken!«, rief sie den Ordensbrüdern zu, die besorgt an der Tür gewartet hatten.
Der kleine Mönch, der sie in die Kirche begleitet hatte, trat neben sie. »Schwester«, flüsterte er, »kann ich Euch kurz sprechen?« Er zog sie zur Tür. »Glaubt Ihr nicht auch, dass es sich um eine Vergiftung handeln könnte?«
Judith erschrak. Er sprach aus, was sie die ganze Zeit verdrängt hatte. Zögernd nickte sie. »Erbrechen, kalter Schweiß, Herzrasen! Ihr könntet recht haben, Bruder.«
»Und jetzt noch dieser Schüttelfrost. Sieht nach Nieswurz aus. Der blüht gerade.« Der Mönch kratzte sich am Kopf. »Ich denke, wir sollten den Kaiser oder wenigstens Euren Vater informieren.«
Ihre Gedanken überschlugen sich wie das Herz in Konrads Brust. Aus Versehen hatte der Bischof das Maiglöckchenkraut ganz gewiss nicht zu sich genommen. Er hatte gesagt, das Fleisch habe seltsam geschmeckt, doch hatten alle von dem Ochsenbraten gegessen. Trachtete ihm
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