Das Geheimnis der Äbtissin
jemand nach dem Leben? Der Mönch hatte recht, sie mussten ihre Vermutung weitergeben.
»Würdet Ihr das übernehmen?«, fragte sie ihn. »Ich möchte den Kranken nicht allein lassen.«
Er starrte sie mit unglücklicher Miene an und verschwand. Sicher keine sehr dankbare Aufgabe.
Ein junger Bruder mit frischer Tonsur hatte inzwischen mehrere Decken aus Schafwolle über den Bischof gebreitet. Ungeachtet dessen zitterte der Unglückliche. Seine Hände kämpften sich hervor und tasteten unruhig über die Wolle.
»Kannst du einen Tee bereiten, einen guten Kräutertee?«, fragte sie den Mönch. Der nickte eifrig und verschwand.
»Wollt Ihr mich mit Eurem Gebräu vergiften?«, brachte Konrad zwischen seinen klappernden Zähnen hervor.
Judith setzte sich an das Lager. »Ich fürchte, da ist mir jemand zuvorgekommen.« Wozu sollte sie ihn schonen?
Seine Augen, eisgrau und noch immer voller Angst, sahen sie zum ersten Mal ohne Hass und Wut an. »Was meint Ihr?«, fragte er.
»Alle Symptome deuten auf eine Vergiftung. Der Bruder war auch der Meinung. Er informiert gerade den Kaiser.« Sie beugte sich vor. »Könnt Ihr Euch vorstellen, wer Euch so etwas antun würde?« Am liebsten hätte sie sich daraufhin sofort auf die Zunge gebissen, denn er musste diese Frage als blanken Sarkasmus deuten.
Doch er konnte nicht mehr antworten. Ein heftiger Krampf fuhr wie ein toller Dämon durch seinen Körper. Er bäumte sich auf und schrie so sehr, dass sie erschrocken zurückfuhr. Als der Mönch den Tee brachte, konnten sie ihm die Flüssigkeit nicht einmal zu zweit einflößen. Das lindernde Nass ergoss sich über Kissen und Decken, während Konrad spuckte, schrie und wild zuckend um sich schlug. In seinen Augäpfeln platzten die Äderchen, und die blutroten, irren Blicke verliehen ihm eine diabolische Ausstrahlung.
Dann betrat der Kaiser das kleine Hospital. Er blieb entsetzt an der Tür stehen, als er den sich windenden und krampfenden Körper sah, der in seinen spastischen Bewegungen kaum noch an den Bischof erinnerte.
Judith hob hilflos die Schultern und sagte: »Es gibt kaum noch Hoffnung, Hoheit. Wir können nur noch beten.«
»Das tun die Mönche bereits seit einer Stunde.«
War erst so wenig Zeit vergangen, seit sie gerufen worden war? Sie trat zu dem Kranken und wischte ihm den Schweiß von der Stirn.
Die Tür knarzte. »Was ist mit ihm?«
Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Diese Stimme, noch immer wie eine fremde Melodie, aber süßer in ihren Ohren als je zuvor.
»Silas!«
Ernste Blicke aus dunklen Augen musterten sie fragend. Dann schweiften sie hinüber zum Bischof.
»Judith! Was ist passiert?«
Sie schluckte. Dann haspelte sie die Symptome herunter. »… und das alles in kurzer Zeit. Gerade jetzt scheint er etwas ruhiger zu werden.«
Seine braune Hand tastete nach dem Herzen. Er sah sie besorgt an, sagte aber nichts. Friedrich stand noch immer hinter ihm. Tatsächlich schienen die Krämpfe nachzulassen. Konrads Hände lagen jetzt ruhig auf der Decke. Seine Augen waren geschlossen.
»Geht es ihm besser?«, fragte der Kaiser.
»Nein. Seine Kräfte lassen nach.« Silas nahm die Hand von Konrads Brustkorb. Er wandte sich um. »Schickt nach einem Priester, Herr. Er soll sich beeilen.«
»Teufel auch, wie kann ein gesunder Mann so schnell sterben, ohne dass eine Waffe im Spiel war?«
»Gift, Herr. Eine hohe Dosis führt schnell zum Tod.«
Friedrich stieß einen Fluch aus, der Judith ein hastiges Kreuz schlagen ließ. Dann stürmte er hinaus.
»Meinst du, es war Nieswurz?«, fragte Judith, während sie Silas’ Gegenwart in sich aufsaugte wie trockenes Moos einen Regenguss.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Eisenhut. Schaut Euch seine Arme an. Er kann sie nicht mehr bewegen. Er ist gelähmt.«
Eisenhut! Der Schreck durchfuhr sie wie ein Armbrustpfeil eine Strohpuppe. Beatrix kannte sich aus mit diesem Gift, sie hatte es damals aus dem Schrank in Eschwege gestohlen. Wie lange war das jetzt her? Vier oder fünf Jahre? Das Pulver würde noch immer wirksam sein, wenn sie es trocken aufbewahrt hatte.
Konrad öffnete die blutunterlaufenen Augen. Sein Blick irrte ruhelos umher. Schließlich blieb er an Judith hängen. Er schürzte die Lippen, wollte etwas sagen, doch seine Kraft reichte nicht dazu. Sie beugte sich hinab, um es ihm leichter zu machen. Verzweifelt sammelte er sich und formte ein lautloses »Be…«.
In diesem Moment betrat der Kaiser mit dem Erzbischof den Raum. Konrads Miene zerfiel wie ein
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