Das Geheimnis der Äbtissin
dichter an ihn, fuhr mit der Hand unter sein Hemd. Seine Haut war warm, darunter schlug sein Herz einen wilden Takt. Verborgen im schwarzen Schatten der Bretter entfachte die Leidenschaft eine Glut, die nicht mehr zu löschen war. Fahrige Hände zerrten Kleider von den Hüften, forderten Nähe, drängten nach mehr. Finger tasteten, kreisten auf nackter Haut, mal zart wie der Atem des Frühlings, dann wieder glühend wie das Feuer der Schmiede.
Die murmelnden Stimmen der Männer im Hintergrund, das Schnauben der Pferde und das Knarren der hölzernen Futterraufen verschmolzen zu einem einzigen Geräusch, das sich gleich einer schützenden Kuppel über die beiden eng verschlungenen Körper wölbte. Zwei Leiber waren eins, und ihre Seelen waren es auch.
Zwei Wochen später fuhr ein Bauer aus Gebra auf einem schwankenden Leiterwagen, beladen mit einem Dutzend großer Körbe voll geräucherten Forellen, über Mülhusen nach Eschwege. Zwei Knechte begleiteten ihn, die des Nachts abwechselnd die Ladung bewachten. Sie erschlugen dabei zahlreiche Dachse und Füchse, die der verlockend duftenden Fuhre nicht widerstehen konnten. So wurde die Lieferung für den Bauern zum doppelt einträglichen Geschäft. Die Fuchsfelle waren zwar im Frühjahr nicht sonderlich wertvoll, doch für eine Mütze oder einen wärmenden Kragen genügten sie allemal. Besonders das Dachsfett, ein begehrtes Einreibemittel gegen Gliederreißen, würde ihm einen ordentlichen Beutel Pfennige zusätzlich einbringen.
Kaum war der Mann heimgekehrt und hatte vom Wagen herunter Felle und Dachskadaver verkauft, kletterte Judith im fernen Eschwege auf ihre Stute, um zur Taufe ihrer Nichte zu reiten. Mutter Gertrud hätte ihr beim Anblick des frisch geräucherten Fisches wohl sogar einen Besuch beim Teufel persönlich erlaubt.
Am Tage der beiden Heiligen Peter und Paul nieselte feiner Regen vom Himmel und setzte sich in winzigen Tröpfchen auf die Festkleidung der zahlreichen geladenen Gäste. Keiner der Herren aus der Umgebung wollte sich die feierliche Messe entgehen lassen, die erneut vom Mainzer Erzbischof abgehalten wurde.
Judith hatte den frühen Morgen genutzt, um sich die diesjährigen Fohlen anzusehen. Sie war daher spät dran, als sie die Kapelle von der Kemenate her betrat. Beinahe war die neue Kirche für die Vielzahl von Menschen schon wieder zu klein. Im oberen Geschoss drängten sich die höheren Gäste hinter Graf Ludwig, seinen Söhnen und seiner Schwiegertochter. Judith schob sich nach vorn und fand einen Platz neben dem Geländer um das Schallloch. Sie trug einen einfachen Habit und hob sich damit würdevoll von der in leuchtende Farben und Seide gekleideten Menge ab. Sie nickte dem Graf von Sangerhausen zu, der ein Vetter dritten Grades war und ein sonderbarer alter Kauz, der mit niemandem ein Wort wechselte, wenn man ihn nicht direkt ansprach. Neben einer fetten Frau in einem gelben Seidenkleid erkannte sie den Graf von Hagen, daneben die Herren von Biela, von Werther und Wechsungen mit ihren Familien. Der Abt und einige hochgeborene Mönche des Klosters Walkenried beobachteten neugierig den Erzbischof, der vorn am Altar die Vorbereitung der Weihe überwachte. Der Burgpater Martinus huschte wie ein aufgescheuchtes Wiesel zwischen Ambo und Altar hin und her und wünschte sich gewiss ein ums andere Mal, die Messe wäre schon vorbei und er säße endlich an der Festtafel.
Der Geistliche in der Dalmatika aus rotem Atlas, der sich vor dem Altar leise mit dem Pater beriet, war ein Erzbischof, daran ließen das kostbare Pektoral und der Bischofsstab keinen Zweifel. Doch Judith hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Sie neigte sich zu ihrem Vater. »Wo ist von Wittelsbach? Ich dachte, er weiht unseren Altar?«
»Er ist in Ungnade gefallen. Friedrich hat ihn abgesetzt«, raunte er. »Er musste nach Frankreich fliehen.«
»Aber warum?«
Graf Ludwig runzelte die Stirn. »Du hast doch gehört, wie er zu Papst Alexander stand. Das hat der Kaiser ihm gehörig übelgenommen.«
»Und wer ist dieser Nachfolger?«
»Christian von Buch.«
Im Erdgeschoss der Kapelle schoben sich das Burggesinde und die Bauern der Wendendörfer in immer enger werdende Reihen. Auch der Dorfvorsteher aus Gebra reckte seinen grauen Kopf stolz aus der Menge. Endlich erklangen die ersten Orgelchoräle, und die letzten Schwätzer verstummten erwartungsvoll.
Wenn sie den Kopf etwas zur Seite drehte, konnte sie durch das Schallloch schräg hinuntersehen und den Mundschenk mit
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