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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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selbst eilte nach unten. Bestimmt wollte er den Buhurt abbrechen lassen. Sie verlor ihn jedenfalls aus den Augen.
    »Edle Damen, bitte verlasst die Tribüne, es droht ein Unwetter!«, hörte sie einen Mann rufen. Ein heftiger Windstoß erfasste sie, als sie sich erhob, und sie fühlte das Holzgerüst unter sich erbeben. Angst fuhr ihr in den Magen. Sie eilte zur Treppe. Mehrere Dutzend Menschen hatten sich inzwischen am vorderen Rand des Holzgestells versammelt und drängten zu den Treppen, die für diesen Ansturm nicht breit genug waren. Im nächsten Moment traf der Wind die Bühne mit solch brachialer Gewalt, dass sich die gezimmerte Plattform, auf der zudem die Last sehr ungleich verteilt war, mit hässlichem Quietschen nach vorn neigte. Die Leute, die an der Brüstung standen, verloren das Gleichgewicht und schrien auf. Judith bekam das Treppengeländer zu fassen und sah, wie mehrere Körper über den Rand des Gerüsts hinweggeschleudert wurden und zwischen die Streitrösser fielen, deren geordnete Formation sich gerade auflöste.
    Ganz langsam neigte sich das knarrende Holz immer weiter in eine Schräglage. Sie umklammerte krampfhaft das Geländer, das sich allmählich an ihr vorbei bewegte, während ihr Körper, der Schwerkraft gehorchend, seine Lage beibehielt. Nach einigen Augenblicken, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, verlor sie den Boden unter den Füßen, die rettende Holzlatte war über ihrem Kopf angekommen, und sie hing wie eine Forelle im Rauch, unter sich das Inferno aus schreienden Menschen, auskeilenden Pferden, zerbrochenen Fahnenstangen.
    Zum Nachdenken blieb keine Zeit, denn die nächste heftige Windböe fuhr unter den Boden der Tribüne, der nun eine bessere Angriffsfläche bot. Mit einem lauten Knarzen schien sie sich wie ein Segelschiff in Bewegung setzen zu wollen, doch hielt das Holz der Belastung nicht stand, und die Konstruktion zerfiel endgültig unter krachendem Splittern. Judith fühlte, wie es plötzlich abwärts ging. Instinktiv zog sie die Beine an und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Später hatte sie keinerlei Erinnerung mehr an den Aufprall. Als sie zur Besinnung kam, lag sie auf einem großen Stoffhaufen, der wohl das Dach der Tribüne gewesen war. Um sie herum tobte der Sturm, Staubsäulen schraubten sich in die Luft und ließen kaum Sicht. Ein reiterloses Pferd raste vorbei. Sie sprang auf, registrierte wie nebenbei, dass alles mit ihr in Ordnung war, und versuchte sich zu orientieren. Links von ihr war im diffusen Licht ein Berg Holz zu erkennen. Das konnten nur die Reste der Tribüne sein. Dort würden Leute ihre Hilfe brauchen. Sie lief die wenigen Schritte, dann hörte sie eine bekannte Stimme. »Bringt die Verletzten in die Festhalle! Fangt die Pferde ein, bevor sie alles niedertrampeln!« Markward hatte das Kommando übernommen. Sie stolperte in die Richtung, aus der die Befehle kamen. Immer wieder musste sie über Hölzer und Fahnen klettern.
    »Schwester Judith, was macht Ihr noch hier?«
    Sie fand ihn, über eine verletzte Frau gebeugt, die stark am Kopf blutete.
    »Ich bin Heilerin, das wisst Ihr doch!« Sie kniete nieder. »Könnt Ihr eine Trage besorgen?«
    Er sah sich um. Ein Knappe kauerte ratlos neben dem Holzstapel. »Besorg ein großes Stück Stoff! Es liegt genug herum. Beweg dich, los!«
    Er hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund und brüllte gegen den Sturm an: »Die Verletzten in die Festhalle! Und fangt die verdammten Pferde ein!«
    Der Junge kam mit einem Stück Baldachin zurück. Markward griff in seinen Stiefel und zog einen kurzen Dolch heraus, mit dem er den festen Stoff zerschnitt. Obwohl Judith noch unter Schock stand, registrierte sie verwundert, dass er eine Waffe trug, was auf dem Festgelände streng untersagt war. Galten etwa Ausnahmen für die Vertrauten der Kaiserin? Doch blieb ihr keine Zeit zum Nachdenken. Markward hievte die bewusstlose Frau auf das Tuch und band sie darin so ein, dass sie nicht herausrutschen konnte. Dann drückte er das Ende der Schleiftrage dem Knappen in die Hand. »Bring sie zur Festhalle!« Der Dolch verschwand unauffällig wieder in seinem Stiefel.
    »Folgt ihm, in der Halle findet Ihr genug Arbeit!«, befahl er und wurde im nächsten Moment von der Staubwolke verschluckt.
    Der Weg zum zentralen Platz war unter normalen Umständen nicht lang, doch der Sturm schien sich über der Uferwiese zu drehen wie ein Kinderkreisel. Mal schob er von hinten, dann wieder mussten sie sich gegen ihn

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