Das Geheimnis der Äbtissin
Plätze hinten in der hölzernen Kapelle. Der Kaiser, seine Frau und die beiden Söhne standen mit stolzer Haltung in der vordersten Reihe. Am Altar lehnten zwei kostbare Schwerter inmitten prachtvoller Blumenkränze. Ein ihr unbekannter Erzbischof leitete die heilige Messe, in deren Verlauf er die beiden jungen Männer und auch die Waffen segnete. Auf dem Hinweg hatte Markward ihr erzählt, dass die Jünglinge in den ersten Morgenstunden bereits einem rituellen Bad unterzogen worden waren.
Im Anschluss an den Gottesdienst gesellten sich die Kirchenbesucher zu den Menschen, die sich draußen auf dem Platz und in den sternförmig angelegten Straßen versammelt hatten. Eine drückende Hitze dämpfte schon zu dieser frühen Stunde die Feierlaune der Gäste, von denen die meisten mit den Folgen des üppigen Wein- und Biergenusses vom Vorabend zu kämpfen hatten. Judith beobachtete, wie manch einer sich zur Seite davondrückte oder ein schattigeres Plätzchen suchte. Doch Schatten war rar, auf dem erst kürzlich bebauten Gelände gab es weder Bäume noch höhere Sträucher. Lediglich die Häuser boten etwas Schutz vor der gleißenden Sonne.
Unmittelbar vor der Kirche begann jetzt die weltliche Zeremonie. Die beiden Söhne des Kaisers standen auf den erhöhten Eingangsstufen, für alle gut sichtbar. Heinrichs Obergewand aus weißem Leinen war von zahlreichen Goldfäden durchwirkt, Kragen und Ärmelabschlüsse mit breiten Goldborten besetzt. Darüber trug er den Purpurmantel eines Königs. Seine Füße steckten in seidenen Strümpfen und Schuhen mit goldenen Schnallen. Auf seiner Stirn perlten feine Schweißtropfen, seine Miene blieb jedoch ernst und würdevoll. Sein Bruder war ähnlich prachtvoll gekleidet, doch fehlten bei ihm der Purpurmantel und die Königskrone.
Der Kaiser selbst trat mit stolzem Gesichtsausdruck vor seinen Ältesten und legte ihm feierlich den Schwertgürtel mit der eben gesegneten Waffe um. Laut und deutlich sprach er die Worte: »Empfange dieses Schwert, das dir mit dem Segen Gottes verliehen wird, damit du stark genug bist, mit der Kraft des Heiligen Geistes allen deinen Feinden und allen Feinden der heiligen Kirche Gottes zu widerstehen und sie zu besiegen.« Nachdem das Schwert festgeschnallt war, kniete er nieder und befestigte goldene Sporen an Heinrichs Schuhen.
Die gleiche Zeremonie hielt er für seinen jüngeren Sohn ab. Judiths Blick schweifte über die Menge und fand die Kaiserin in vorderer Reihe neben den höchsten Fürsten des Reiches. Ihre Augen waren tränenfeucht, ihre Hände kneteten ein weißes Tüchlein.
Obwohl sie im Schatten der Kirche stand, begann auch Judith unter ihrem Schleier zu schwitzen. Wie die anderen Gäste hoffte sie, der offizielle Teil möge bald vorüber sein. »Was kommt jetzt noch?«, fragte sie ihren Begleiter, während die Zuschauer in lautes Jubeln ausbrachen.
»Die jungen Ritter verteilen nun Geschenke zum Zeichen ihrer Großzügigkeit und neuen Würde. Auch Ihr könnt eine Gabe in Empfang nehmen. Am Eingang des Festsaals ist alles vorbereitet.«
»Aber das dauert doch mindestens den ganzen Tag!« Entsetzt starrte sie auf die vielen Menschen, von denen gewiss jeder etwas abbekommen wollte.
Markward lachte amüsiert. »Macht Euch keine Gedanken. Das ist gut organisiert. Es gibt mehrere Ausgabestellen im Lager, nur hier an der Festhalle geben Heinrich und sein Bruder selbst aus.«
Erstaunt und fasziniert beobachtete sie, wie die beiden jungen Ritter prachtvolle Turnierpferde, Reittiere, kräftige Lastpferde, kostbare Kleider, Gold- und Silberpokale verteilten. Wer seine Glückwünsche ausgesprochen und sein Geschenk bekommen hatte, zog schleunigst weiter, um den Nachdrängenden Platz zu machen.
Als hätte Markward ihre Gedanken erraten, erklärte er: »Es gilt als äußerst unehrenhaft, sich mehrmals anzustellen, und die Leute passen gut aufeinander auf. Wer erwischt wird, muss das Fest sofort mit leeren Händen verlassen.«
Aus den Händen des jungen Friedrich erhielt sie kurz darauf ein kunstvoll geschmiedetes goldenes Kruzifix von der Länge ihres Unterarms mit einem walnussgroßen Rubin in der Mitte. »Gott segne Eure Ritterschaft, junger Herr«, bedankte sie sich.
Seine eisgrauen Blicke blieben an ihrem Gesicht hängen. »Die einsame Schwester vorm Königshaus, nicht wahr?« Verschmitzt fügte er hinzu: »Und vor der Weide auf dem Hügel.«
Sie nickte. Er hatte sie also doch wahrgenommen, trotz der schönen Magd in seinen Armen. Doch schien
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