Das Geheimnis der Äbtissin
sie hier zur Untätigkeit verurteilt war. Es wäre einfacher zu ertragen, wenn sie mitreisen könnte. Sollte sie ihn gleich danach fragen oder eine günstigere Gelegenheit abwarten? Ihre Zunge war schneller als ihr Verstand. »Vater, ich würde auch gern mitreiten. Als Heilerin kann ich Euch von großem Nutzen sein.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, rief er ärgerlich. »Du solltest langsam begreifen, wo dein Platz in der Welt ist. Du bist meine Tochter und nicht irgendeine dahergelaufene Baderin!«
Sie hatte einen Fehler gemacht. Der Brief des Kaisers hatte ihn in denkbar schlechte Laune versetzt. Doch nun war der Teig gegangen, das Brot musste in den Ofen.
»Aber soll ich denn die ganze Zeit hier abwarten und hoffen, dass Ihr heil zurückkehrt?«
»Ja, das ist deine Aufgabe als Frau. Außerdem wirst du heiraten, einem Haushalt vorstehen und Kinder aufziehen.«
Sie trat einen Schritt zurück. Jetzt sollte er Farbe bekennen. »Heiraten?«
Der Graf räusperte sich umständlich. »Du kennst Graf Erwin von Tonna? Er ist seit letztem Jahr Witwer. Er ist wohlhabend und hat viel Einfluss in Thüringen.«
Judith fasste nach dem Kaminsims, sein Gesicht verschwamm wie ein Spiegelbild in einer aufgewühlten Pfütze. »Aber er ist alt, Vater! Mindestens so alt wie Ihr!« Sie erinnerte sich undeutlich an einen grobschlächtigen Mann mit grauem Bart und tiefliegenden Schweinsaugen.
»Das spielt keine Rolle. Er ist auf der Suche nach einer Frau.« Er hob die Augenbrauen und sprach hastig. »Es wird Zeit, dass du eine richtige Aufgabe hast. Dann kommst du auf andere Gedanken.«
Er wandte sich ab und floh vor ihren Tränen. Mit schnellen Schritten ging er hinaus. Sie ließ sich auf die Kaminbank sinken. Genau genommen hatte er recht. Ihr Bruder Ludwig würde die Grafschaft übernehmen und irgendwann eine junge Frau heiraten. Für sie war hier bald kein Platz mehr. Vielleicht sollte sie ihr Schicksal annehmen, denn was ging sie die Ehre des Kaisers an? Vielleicht entpuppte sich ihr zukünftiger Ehemann als freundlich und zuvorkommend, und vielleicht könnte sie sich mit dem Leben auf seiner Burg anfreunden?
»Und vielleicht geht morgen die Sonne im Westen auf!«, sagte sie laut und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie nichts mehr zu verlieren. Sie lächelte grimmig und fügte leise hinzu: »Nun, Bischof, da habt Ihr Euch einen Bärendienst erwiesen!«
Am Nachmittag des nächsten Tages überprüfte sie mit dem Koch den Küchenplan für die kommende Woche. »Am Samstag Huhn. Das hatten wir letztens schon vereinbart. Lass dir von der Magd die ältesten Hennen aussuchen und köpfe den verrückten Hahn, der die Kinder angreift. Die Tochter vom Mundschenk hat er übel zugerichtet. Für Sonntag schlachtet das Kalb, von dem der Stallmeister gesprochen hat. Erdbeeren von mir aus jeden Tag, solange sie reichen. Die Mägde sollen aber auch welche einlegen und trocknen.«
Der Koch brummte zustimmend und strich sich über den kahlen Schädel. »Die ersten Kirschen sind reif. Davon könnte ich Montag eine Suppe mit Mehlklößen kochen, wenn der Junge mir ein paar Eimer voll pflückt«, schlug er vor.
»Sind alle Äpfel aus dem letzten Jahr verbraucht?«, fragte sie.
»Ja. Inzwischen alle zu Mus verkocht, Herrin.« Er kratzte sich am Kopf. »Am Dienstag gibt es Eier, die Hühner legen gut. Soll ich sie kochen und eine Mehlsoße dazu rühren oder in der Pfanne braten?«
»Wenn wir viele Eier haben, kannst du sie Dienstag kochen und Donnerstag braten. Am Freitag bringen die Bauern wieder Fisch. Bleibt noch der Mittwoch.« Sie trat ans Fenster, wo auf dem Tisch ein Bündel mit kleinen Zwiebeln lag. »Zwiebelsuppe mit Pökelfleisch?«, fragte sie. Auf dem Hof stritten zwei Kinder um einen Ball aus Sackstoff. Sie sah Beatrix aus der Palastür treten und sich kurz umblicken. Sie trug Reitkleidung.
»Pastinaken wären besser. Die Zwiebeln wachsen noch«, gab der Koch zu bedenken.
Beatrix überquerte mit schnellen Schritten den Hof. Sie will zum Pferdestall, dachte Judith. Sie nickte dem verdutzten Mann zu und eilte zur Küchentür hinaus.
»Aber …«, der Koch hob den Arm. »Was ist mit den Pastinaken?«
Sie rannte bereits zum Torhaus und hörte ihn nicht mehr. Hinter dem Schafstall warf Ludwig Speere auf einen Strohballen. Einige Wachsoldaten standen dabei und gaben gute Ratschläge, andere hielten selbst Wurfspeere in den Händen.
Sie winkte ihn beiseite. »Hast du Konrad
Weitere Kostenlose Bücher