Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
zurückzugeben. Eines Tages erreicht auch er den Gipfel des Berges, und zwar genau in dem Moment, als Ihr dort angekommen seid.« Adia unterbrach sich und sah ihm direkt in die Augen. »Das Ergebnis ist das Gleiche, sogar zum gleichen Zeitpunkt. Aber wollt Ihr wirklich behaupten, dass es keine Rolle spielt, mit welchen Mitteln es erreicht wurde und dass für beide das Ziel an und für sich weder gut noch schlecht ist?«
Ein Teil seines Verstandes bewunderte die Klarheit, mit der Adia ihren Gedanken erläutert hatte. Dennoch ertrug er es nicht, dass sie es auf seine Kosten getan hatte. Er, der bekannte magister medicinae , den man in Italien und sogar in Frankreich ehrte, wurde von einer Frau in Bedrängnis gebracht. Aus reiner Arroganz beschloss er, nicht darauf zu antworten.
»Ich bin nicht hierhergekommen, um mit Euch philosophische Diskurse zu führen, Madonna«, sagte er. »Ich hatte Euch ursprünglich eine andere Frage gestellt. Könnt Ihr mir
sagen, wie es möglich ist, das Blut und die Adern eines menschlichen Herzens in Eisen zu verwandeln? Und wer so etwas erreicht haben könnte?«
Adia seufzte noch einmal betont laut. Wie es schien, amüsierte sie sich immer noch auf seine Kosten.
»Abu Ali al-Husain Ibn Sina, den Ihr unter dem Namen Avicenna kennt«, sagte sie, »würde jetzt anführen, dass die Kenntnis von etwas nicht vollkommen ist, solange man ihre Ursachen nicht kennt. Stimmt Ihr dem zu?«
»Ja, aber was hat das mit meinen Fragen zu tun?«
»Ich kann Euch nicht viel über den Vorgang sagen, der nötig ist, um menschliches Blut erst in Eisen und dann in Gold zu verwandeln, aber …«
»In Gold?«, unterbrach sie Mondino zweifelnd.
»Ja, in Gold. Ihr seid doch ein Arzt? Dann müsst Ihr die Werke von Jabir ibn Hayyan kennen, den Ihr Geber nennt, von Michele Scoto, Arnaldo da Villanova, Albertus Magnus …«
»Die kenne ich«, erwiderte Mondino gereizt. »Doch an der Universität lehren die moderneren Magister, dass man aus der Alchimie nur das für die Medizin Nützliche nehmen und den Rest verwerfen soll. Ich habe selbst die Rezeptur von Michele Scoto zur Verwandlung von Blei in Gold ausprobiert, jedoch ohne brauchbare Ergebnisse.«
»Tatsächlich?«, sagte Adia. »Und was genau habt Ihr getan?«
»Ich bin Schritt für Schritt seinen Anweisungen gefolgt. Ich habe das Blei genommen, es dreimal mit Kalk, rotem Arsen, sublimiertem Vitriol und Alaunzucker geschmolzen, es dann in den Saft von Meermelde und wilder Gurke gelegt. Danach …«
»… hat sich das Blei nicht in Gold verwandelt«, unterbrach sie ihn wieder, »und Ihr habt daraus geschlossen, die Rezeptur sei falsch.«
»Genau.«
»Nun, Ihr irrt Euch.«
Mondino wurde allmählich wütend. Adia Bintaba mochte sich mit Wissenschaft befassen, dennoch zeigte sie die übliche weibliche Neigung, nicht die Tatsachen zu berücksichtigen, sondern nur den eigenen Ideen anzuhängen.
»Etwas kann nicht wahr sein, wenn die Erfahrung lehrt, dass es falsch ist«, erwiderte er trocken.
»Will Euch denn wirklich nicht in den Kopf, dass das Ergebnis nicht nur von der Rezeptur abhängt, sondern auch von demjenigen, der sie anwendet?«, antwortete sie aufgebracht. »Ihr weigert Euch, diese Grundwahrheit zu akzeptieren - und das, obwohl Ihr ein kluger Mann seid. In der Alchimie ist der wissenschaftliche Fortschritt der Spiegel des inneren Fortschritts. Ein Alchimist, der seine persönlichen Eigenschaften nicht vervollkommnet hat, kann lange den Formeln und Verfahren aus den Büchern folgen. Er wird erfolglos bleiben.«
Mondino beschloss, dass dieses Spiel nun schon zu lange währte. »Hört, Madonna Adia«, sagte er streng. »Ich würde ja gern hier bei Euch bleiben und mit Euch diskutieren, aber wie ich Euch bereits gesagt habe, ist meine Zeit knapp bemessen. Habt Ihr nun eine Vorstellung, wie jemand diesen deutschen Tempelritter auf so unmenschliche Weise getötet haben kann, ja oder nein?«
Adia brach in herzliches Gelächter aus, und Mondino spürte, wie er glühend rot wurde. Er hatte den Weg umsonst gemacht: Nun hatte er beinahe einen ganzen Vormittag der beiden Tage, die ihm blieben, verloren. Er konnte es sich nicht leisten, länger hier zu verweilen und sich von dieser Frau zum Narren machen zu lassen.
»Natürlich habe ich davon eine Vorstellung«, sagte Adia, als sie aufgehört hatte zu lachen. »Und ich versuche schon eine Weile, sie Euch darzulegen, aber Ihr lasst mich ja nicht zu Wort kommen.«
»Ich lasse Euch nicht zu Wort kommen?
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