Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Lanze nicht übergeben würde. Schließlich hatte der König von Burgund nachgegeben und sie König Heinrich auf einem Hoftag in Worms im Tausch für ein Stück Land im Süden des Reichs überlassen.
Finster starrte der Burggraf auf die Worte, die der Mönch Widukind vor so vielen Jahren verfasst hatte.
» Lancea sacra «, wiederholte er schließlich leise. Die Heilige Lanze.
Die Lanze des Mauritius.
Das musste es sein!
Was wusste der Jude darüber? Warum hatte er gewollt, dass just der Burggraf davon erfuhr? Und wieso hatte er einen derart verwinkelten Weg gewählt, um Bandolf darauf aufmerksam zu machen? Weshalb hatte er ihm nicht einfach gesagt, was er wusste?
Bandolf hatte nicht gehört, dass jemand eingetreten war. Als er hinter sich jemanden atmen hörte, fuhr er erschrocken herum.
»Tölpel! Kannst du dich nicht bemerkbar machen, bevor du mir deinen faulen Atem in den Nacken bläst?«, brummte er ungnädig.
Wohlweislich versagte sich der Wachmann eine Antwort.
»Am Tor wurde diese Botschaft für Euch abgegeben«, meldete er und streckte seinem Herrn eine schmale Pergamentrolle entgegen.
»Zu dieser Stunde?«, fragte Bandolf erstaunt, während er das Siegelwachs aufbrach und das Schriftstück rasch überflog.
Plötzlich schien der Boden unter seinen Füßen zu schwanken. Die Schrift verschwamm vor seinen Augen, und Übelkeit kroch ihm wie ein bitterer, schleimiger Wurm in den Schlund.
Ungläubig starrte er auf die wenigen Zeilen.
»Schaff mir den Boten herbei.«
»Aber Herr, der Bote ist gleich weiterge – «
Ruckartig hob Bandolf den Kopf. »Schaff mir diesen verdammten Boten herbei!«, donnerte er.
In Windeseile stürzte der Wachmann zur Tür.
Sein Gebrüll hatte offensichtlich die Hörigen aufgescheucht, doch Bandolf nahm die fragenden Stimmen nur am Rande wahr. Mit schweißfeuchten Händen strich er das Pergament wieder glatt.
Eine eisige Furcht kroch durch den zähen Nebel, der sich um seine Gedanken gelegt zu haben schien, und krallte sich um sein Herz, während er die Zeilen noch einmal las:
Dem Bandolf von Leyen, Burggraf zu Worms und Vogt
der Buchenburg.
Euch sei kund und zu wissen, dass sich Eure Gemah-
lin in unserer Obhut befindet. Bislang ist ihr kein
Leid geschehen. Solltet Ihr jedoch fürderhin nicht da-
von absehen, Euch in jene Angelegenheiten zu men-
gen, welche vergangene wie jüngste und zukünftige
Ereignisse um das Kloster Sankt Mauritius betreffen,
dann mögt Ihr versichert sein, dass alsbald das Blut
Eures Weibes an Euren Händen kleben wird.
Gegeben zu Worms am Tag Sankt Peter und Paul im
Jahre des Herrn 1066
KAPITEL 23
Sachsen, 7. Juli im Jahre des Herrn 1066
W as war in Worms geschehen?
Wer, zur Hölle, hatte sich an seinem Weib vergriffen? Wo war Matthäa? Lebte sie noch? Und sein Kind? Womöglich hatte man sie längst …?
Nein, das war undenkbar! Aufstöhnend vergrub der Burggraf das Gesicht in seinen Händen.
Einen Augenblick später sah er auf und starrte mit grimmigem Blick auf die Pergamentrolle, die vor ihm auf der Tafel lag. Das Schriftstück war nicht unterzeichnet, und auf dem Wachs, mit dem es verschlossen gewesen war, fehlte ein Siegel. Ebenso gut wie in Worms konnte die Nachricht auch im Harudengau verfasst worden sein. Und hätte ihm Garsende nicht umgehend Nachricht geschickt, wenn Matthäa entführt worden wäre? Konnte es sich um eine Täuschung handeln?
Womöglich gaukelte man ihm nur vor, sein Weib wäre in Gefahr, damit er aufhörte herumzustochern? Worms war weit! Wäre überhaupt Zeit genug gewesen, um all das zu bewerkstelligen?
Er hatte einen Tag nach der Sonnenwende damit begonnen, Fragen zu stellen, und mit seiner Absicht nicht hinterm Berg gehalten, so lange zu graben, bis sich Prosperius’ Unschuld erwiesen hätte. Irgendjemandem war er damit
auf die Füße getreten. Wer immer das auch war, konnte umgehend beschlossen haben, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Einem eiligen Reiter würde es gelingen, die Wegstrecke nach Worms in sechs Tagen zurückzulegen, womöglich sogar in fünf Tagen, bei trockenem Wetter und günstigen Bedingungen. Die Drohung, die er erhalten hatte, war am Tag Sankt Peter und Paul ausgestellt worden und hatte sieben Tage benötigt, um ihn zu erreichen. Demnach hätte jemand einen, höchstens zwei Tage, nachdem der Burggraf mit seinen Nachforschungen begonnen hatte, eine Botschaft nach Worms schicken müssen. Dem Empfänger jener Botschaft wäre dann nicht viel Zeit geblieben, ein Tag,
Weitere Kostenlose Bücher