Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Um herauszufinden, was für ein perfides Spiel Tidread mit ihm spielte, war Bandolf noch einmal zur Krähenburg geritten. Doch nur Tidreads Hausmeier hatte ihn empfangen und ihm mitgeteilt, sein Herr sei mit dem Gast aus Burgund fortgeritten. Wohin, das wisse er nicht, und wann sein Herr wieder zurückkehren werde, sei ungewiss. Auch die Burgherrin, nach der Bandolf ebenfalls gefragt hatte, sei just unabkömmlich und leiste einer Magd bei der Niederkunft Beistand.
Mit wachsendem Groll hatte Bandolf die Krähenburg verlassen.
Am nächsten Tag war er mit Herwald und einem kleinen Gefolge Reisiger nach Derenburg aufgebrochen, in der Hoffnung, den Gaugrafen auf dessen in der Nähe gelegenen
Burg anzutreffen. Dort angekommen, musste er jedoch hören, dass er Gebhard von Supplinburg um einen Tag verfehlt hatte. Der Graf vom Harudengau sei zu seinen Ländereien im Thüringischen unterwegs, hieß es.
Mit schwelendem Zorn und wiederum unverrichteter Dinge war Bandolf zur Buchenburg zurückgekehrt. Der Ritt nach Derenburg hatte ihn zwei Tage gekostet, die vergeudet waren.
Und noch immer wusste der Burggraf nicht mehr über die Ereignisse, in die sein junger Schreiber verstrickt war, als zu Beginn seiner Nachforschungen.
Gereizt zog Bandolf die Brauen zusammen. Wie es schien, blieb ihm nur noch dieser Rotschopf an seiner Seite, um mehr darüber zu erfahren, was in Sankt Mauritius vorgefallen war. Doch seit sie das Kloster verlassen hatten, hüllte sich der junge Bursche in hartnäckiges Schweigen.
Als hätte er seinen Blick gespürt, hob Bruder Wynstan plötzlich den Kopf. Wimpern, von derselben rötlichen Farbe wie sein Haar, das sich um die frisch barbierte Tonsur ringelte, beschatteten seine blauen Augen.
»Dieser Pfad führt zur Jagdpfalz Bodfeld«, bemerkte er. In seiner hellen Stimme schwang deutliches Unbehagen mit. »Um zum Buchenfels zu gelangen, hättet Ihr die entgegengesetzte Richtung nach Egininkisrod einschlagen müssen.«
Ganz so gleichgültig, wie er getan hatte, war der junge Bursche also doch nicht, dachte Bandolf. Seine Ungeduld bezähmend, zwang er sich zu einem freundlichen Lächeln.
Um die Zeit zu gewinnen, die er zweifellos brauchen würde, damit der junge Mönch seine Schweigsamkeit aufgab, hatte er absichtlich einen längeren Weg gewählt. Doch das musste Bruder Wynstan ja nicht wissen.
»Gibt es nicht einen Pfad, der kurz vor Bodfeld vom Weg abzweigt und nach unten in die Bachsenke führt?«, erkundigte er sich. »Man hat mir versichert, dass es am Ende dieses Pfads einen Steg über den Bach gäbe, und es von dort aus nicht mehr weit bis zum Buchenfels sei.«
»Ja, das stimmt. Dieser Pfad ist aber sehr unwegsam und steil«, antwortete Wynstan und warf dem Burggrafen einen abwägenden Blick zu, als hege er Zweifel, ob Bandolfs große, stämmige Gestalt einem solchen Pfad gewachsen wäre.
»Ich werde mir schon nicht den Hals brechen«, fühlte Bandolf sich veranlasst zu antworten, worauf die runden Apfelwangen des jungen Mönchs wieder aufflammten und er rasch die Lider senkte.
Entmutigt rollte Bandolf die Augen.
»Du scheinst dich hier gut auszukennen«, meinte er nach einer Weile.
Bruder Wynstan nickte.
»Bist du hier aufgewachsen?«, forschte Bandolf weiter.
Wieder ein Nicken.
»Dann bist du wohl als Oblate nach Sankt Mauritius gekommen? «
Ein erneutes Nicken.
»Auch Prosperius kam als Oblate ins Kloster. Du musst ihn gekannt haben.«
Ein hauchdünnes Seufzen entfloh den zusammengepressten Lippen des jungen Mönchs, als er wiederum nickte.
Das war ja zum Aus-der-Haut-fahren! Vor Ungeduld ballte der Burggraf die Hände. Wenn Bruder Wynstan sich weiterhin jeden Wurm aus der Nase ziehen ließ, würde er ihn bis nach Quedlinburg schleppen müssen, bevor er das, was er wissen wollte, aus ihm herausbrächte. Wie, zum Henker,
sollte er einen jungen Mönch zum Reden bringen, der dem Gebot der Schweigsamkeit folgte?
Plötzlich hatte er einen Einfall. »Warum hast du mir auf dem Sonnwendfest zugeflüstert, ich solle nicht alles glauben, was mir zu Ohren käme?«, fragte er barsch.
Es war ein Pfeil ins Blaue hinein, doch offensichtlich hatte er getroffen. Die Röte in Wynstans Gesicht breitete sich bis zu seinen Ohren aus.
»Ich glaubte, Ihr würdet … Ich dachte, Ihr glaubt …«, stammelte er. Dann stieß er hervor: »Prosperius und ich, wir sind zusammen aufgewachsen. Wir waren … Spielgefährten … Freunde. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er getan haben soll, was
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