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Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman

Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Bracht
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nicht gebrauchen konnte, dann Neid und Missgunst. Aber er täuschte sich offenbar. In Roccos Gesicht war keine Spur von Ärger oder Argwohn zu entdecken. Er strahlte Magdalena an, und die erwiderte seinen Blick mit einem unbekümmerten Lächeln. Gianni schüttelte den Kopf und bedeutete Gabriella, ihm nachzuschenken. Was das wohl noch geben würde?
    »Was wolltest du mir heute Morgen sagen, Rocco?«
    Der Koch hatte sich seiner Schürze entledigt und griff nach einem Stück kalten Fleisches. Der Tag war lang gewesen und anstrengend, aber er hatte es geschafft, seinen Herrn und dessen Gäste wieder einmal mehr als zufriedenzustellen. Genussvoll kaute Gianni den Wildschweinbraten und tunkte ein Stück Brot in die Dolceforte, eine köstliche Soße, die aus Fleisch, Äpfeln, Kastanien, Trauben und Susinen bestand und unter Beimischung spezieller Gewürze über Tag eingekocht wurde, um dann mit dem Braten auf die Tafel zu kommen. Dolceforte nahm nicht nur Wildbret die Strenge; Gianni gebrauchte sie auch als Grundlage für Ragouts, wenn das verwendete Fleisch nicht mehr frisch war und bereits einen starken Geruch entwickelt hatte. Er lächelte. Man musste sich eben zu helfen wissen. Dann wandte er sich wieder dem Burschen zu. Aufmunternd sah er ihn über den Rand seines Bechers hinweg an.
    Rocco hatte sich ebenfalls etwas von dem Braten genommen und setzte sich zu dem Älteren an den Tisch. Er hatte großen Respekt vor Gianni und versuchte, die richtigen Worte zu finden.
    »Ich weiß, was dich bedrückt, Gianni. Weder ich noch Benedetto haben dein Talent. Und ich weiß, du hast Angst vor dem Tag, an dem du nicht mehr so gut schmecken und nicht mehr so trefflich riechen kannst. Du fürchtest, beim Grafen in Ungnade zu fallen, und das sicher nicht ohne Grund. Aber sieh«, er stand auf, um dem Koch den Trinkbecher zu füllen, »ich habe heute Morgen an eine Lösung gedacht. In meinem Kopf sind so wunderbare Ideen, so viele gute Rezepturen. Aber ich kann sie nicht verwirklichen, nicht ausprobieren. Ich brauche jemanden, der für mich riechen und schmecken und abwägen kann. Ich wollte dich bitten, Bella zu uns zu holen und mir zur Seite zu stellen. Ich bin sicher, gemeinsam werden wir deine Kunst fortführen. Eines Tages wirst du stolz auf uns sein.«
    Gianni ließ seinen Becher sinken und nickte. Langsam stand er auf und ging zu der Tischseite, an der Rocco saß und ihn erwartungsvoll ansah. Er machte dem Jungen ein Zeichen aufzustehen und schloss ihn fest in seine Arme.
    »Du bist wie ein Sohn für mich, Rocco«, sagte der Koch ergriffen, »und glaub mir: Ich bin jetzt schon stolz auf dich.«
    Donna Donata wachte schweißgebadet auf, wie fast jede Nacht, seitdem sie eine Tochter geboren hatte. Jahre waren vergangen, aber die Zeit schien in ihrem Kopf zusammenzuschmelzen, wenn sie an den Moment zurückdachte, in dem Ascanio ihr Kind getötet hatte. Wenn sie die Augen schloss und sich den Geistern der Erinnerung überließ, konnte sie die Klinge aufblitzen sehen, nahm den Geruch von Blut und Angst wahr, der das ganze Gemach ausfüllte, erlebte wieder und wieder diese schrecklichen Sekunden, als der Conte ihr alles nahm, was ihr von ihrer großen Liebe geblieben war. Sie hatte damit gerechnet, dass er sie verstoßen, vielleicht sogar töten würde, aber dass er dem Kind etwas antun könnte, er, der selbst Vater war, das hätte sie niemals gedacht.
    Sie war eine Ehebrecherin, sie hatte das sechste Gebot missachtet, sie hatte schwere Schuld auf sich geladen – nicht aber ihre Tochter. Die Contessa setzte sich im Bett auf und warf die verschwitzten Laken von sich. Gab es denn keinen Ausweg? Sie konnte das Leben mit dieser Schuld und den nie endenden Alpträumen nicht länger ertragen. Ihr ganzes Dasein an Ascanios Seite schien ihr wie ein schlimmer Traum. Sie lebte wie eine Gefangene seit jenem Tag; sie trug die kostbarsten Gewänder aus bunter chinesischer Seide und aß Speisen von ausgesuchter Köstlichkeit, aber sie war allein. Sie blickte sich um und lachte bitter auf. Die Wände ihrer Gemächer waren mit goldgewirkten Stoffen bespannt, in deren Goldfäden sich das Licht der Kerzen brach und damit den Raum zum Funkeln brachte. All dieser Luxus bedeutete ihr nichts. Sie war einsam. Die Dienerschaft durfte nur das Nötigste mit ihr sprechen, und die feierlichen Anlässe, bei denen sie als Gastgeberin fungierte, waren selten geworden. Sie wusste, für die anderen Damen ihres Standes wurde sie zunehmend uninteressant; ihre

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