Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Grütze, ohne den Löffel zum Mund zu führen.
Seine Gier hatte ihn verblendet. Er hatte all sein Geld vertan. Und ein Zehntel der Steuern, die Grosseto an Lucca für den Bau der Stadtmauer abtreten musste, dazu. Inzwischen war Cesare Borgia, der nimmermüde Aggressor, zwar tot und die akute Gefahr einer Invasion durch sein Söldnerheer gebannt, doch verloren war verloren. Einer der venezianischen Kaufleute, die auf ihren Reisen an die Höfe von Florenz oder Siena in seinem Ort Station machten, sollte in seinem Auftrag chinesische Seide kaufen. Nicht die allerbeste, die war den Nobili vorbehalten, aber bunt und von guter Qualität sollte sie sein. Die Menschen aus der Maremma zahlten viele Scudos für ein schönes Fähnchen Seidenstoff. Doch das Schiff war auf der Hinfahrt untergegangen, vor Monaten schon, und mit ihm der Kaufmann, seine Geldschatulle und Martinis Träume von noch mehr Wohlstand. Was am schlimmsten war: Er konnte nicht mehr länger geheim halten, dass er den Zehnten genommen hatte. Unter glücklicheren Umständen hätte er die Silberlinge längst an ihren Platz zurückgelegt; er hatte sie ja nur borgen wollen, nicht stehlen. Das allerdings würde ihm heute niemand mehr glauben. Sein Leben war verwirkt, wenn ihm nicht noch etwas einfiel, bevor die nächste Abgabe fällig war.
Bedächtig schob er die Schale Hirsegrütze beiseite, dann erhob er sich, legte seinen Mantel um und trat vor die Tür. Vielleicht würde es helfen, wenn er ein wenig durch den Ort spazierte. Eine Idee musste her, eine gute Idee.
Sein Weg führte ihn geradewegs in die Schenke. In Grosseto gab es nur die eine, und sie war immer gut besucht, nicht nur an Markttagen. Martinis Herz klopfte immer noch hart in seiner Brust; die Sorgen um seine Zukunft ließen ihn nicht los. Der Vogt nickte zum Gruß, als er über die Schwelle trat, und setzte sich auf den erstbesten Schemel. Den Becher Wein, den Mario, der Wirt, schweigend vor ihm hinstellte, quittierte er mit einem unverständlichen Brummen. Dann leerte er den Becher in einem Zug. Martini atmete tief durch. Es musste doch eine Lösung geben … Seine Augen, die sich inzwischen an das schummrige Licht im Schankraum gewöhnt hatten, irrten ruhelos umher. Der Vogt stutzte. Dieser junge Bursche da hinten am Tisch – war das nicht Benedetto? Das kam ihm gerade recht. Er hatte ihm eine ganze Menge zu erzählen.
»Wirt«, sagte er laut und stand auf, »bring uns zwei Becher Wein – aber von dem guten – und kaltes Fleisch.«
Drei Becher Wein später und nicht mehr ganz so übellaunig setzte Martini seinen Rundgang durch Grosseto fort. Seine Schritte lenkten ihn in Richtung Kirche, und so lief er genau dem Prete in die Arme, der sich am Portal mit einem alten Weib unterhielt. Als der Pfarrer ihn entdeckte, verabschiedete er sich hastig von der Frau. Der Vogt seufzte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Der Priester, von dem er wusste, dass er den Reizen des Zigeunermädchens immer noch genauso verfallen war wie er, Pietro, winkte ihn zu sich. Ohne besondere Begeisterung nickte Martini und steuerte auf den Gottesmann zu. Es war schon pikant, dieses Dreieck aus Pfarrer, Vogt und Zigeunerin, das musste man zugeben. Zumal der arme Priester nicht wusste, dass er es wusste … Martini zügelte seine Gedanken, setzte eine offizielle Miene auf und beschleunigte seinen Schritt.
»Was kann ich für Euch tun, Vater?«
Der Stadtvogt bemühte sich, seiner Stimme einen interessierten Tonfall zu verleihen, und verbeugte sich knapp vor dem Geistlichen. Der Pfarrer rang sichtlich um Fassung, und es dauerte noch ein paar Augenblicke, bis er in der Lage war zu sprechen. Er neigte sich, da er etwas höher gewachsen war als Martini, zu diesem herunter und flüsterte leise:
»Der Himmel sei mein Zeuge, in der Beichte habe ich eben etwas Schreckliches gehört. Auch wenn ich dir nicht sagen darf, wer mir gebeichtet hat, so kann ich dir die Umstände schildern, die mich bestürzen. Ich brauche deinen Rat, Martini, deinen Rat als Sohn dieser Stadt.«
Der Vogt nickte achtungsvoll und folgte dem Pfarrer die Stufen zur Kirche hinauf. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wovon dieser Priester da redete. Und es kümmerte ihn auch nicht. Aber seine Devise war, besser einmal zu viel zugehört als einmal zu wenig. Er spürte, dass sein Missmut einer kindlichen Neugierde wich, und schloss die schwere Kirchentür hinter sich. Als er sie wieder öffnete, war Mittag vorbei. Und Martini wusste, wie er
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