Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
seinen Hals würde retten können. Dass er und der geheimnisvolle Fremde, den er auf Veranlassung des Prete im Beichtstuhl getroffen hatte, von einem heimlichen Gast belauscht worden waren, hatte keiner von ihnen bemerkt.
Benedetto war immer noch im Wirtshaus. Er saß seit dem Morgen hier; nachdem die Gaukler weitergezogen waren, hatte er den Ort nicht verlassen, so wie sonst, sondern war im Wirtshaus geblieben, hatte sein Glück beim Spiel versucht und getrunken. Er blickte in seinen Becher. Schon wieder leer. Mit schwerer Zunge rief er nach dem Wirt und befahl ihm, den Becher zu füllen. Auf den skeptischen Blick des Mannes hin zog Benedetto einen kleinen Lederbeutel aus seiner Tasche und ließ ein paar Liraauf den Tisch fallen.
»Kann ich jetzt noch Wein haben, he?«
Der junge Mann schob die Münzen ungeschickt in Richtung Wirt. Der ließ sie mit ausdrucksloser Miene in seiner Schürze verschwinden und goss ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ein. Benedetto setzte den Becher an und trank. Es schmeckte ihm schon lange nicht mehr, aber er trank weiter. Er wollte so lange trinken, bis er keinen Gedanken mehr denken konnte, keinen einzigen. Suchend blickte er sich um. Eben hatte da noch sein neuer Freund gesessen … Benedetto fasste sich ans Kinn. Erst hatten sie gestritten, dann gerauft, dann getrunken – und nun war auch er fort.
Benedetto spürte erneut unendliche Traurigkeit in sich hochsteigen und nahm einen weiteren tiefen Schluck. Jolande, seine schöne Gauklerin, die er liebte wie keine sonst auf der Welt, die ihn zum Mann gemacht hatte, damals, hinter den Bäumen bei den Stallungen, seine Jolande war tot. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Räuber hatten ihre kleine Truppe kurz vor Grosseto überfallen, und einer schnitt Jolande, die sich nicht von ihrem Schmuck und Tand trennen wollte, einfach die Kehle durch, das hatte der Vogt am Morgen erzählt. Überfälle dieser Art passierten immer wieder. Das Sumpfland rund um Grosseto bot in seinen Dünen und zwischen den hohen Felsbrocken genügend Möglichkeiten, um sich zu verstecken und einer Leiche zu entledigen.
Beim Gedanken daran, dass seine Geliebte irgendwo da draußen in diesem Niemandsland zwischen Geröll und abgebrochenen Ästen langsam verrottete, dass er nicht einmal an ihrem Grab beten konnte, raufte er sich den wilden schwarzen Haarschopf und heulte vor Schmerz laut auf. Nie wieder würden sich ihre Körper finden, nie mehr würde er die Glückseligkeit erfahren, die nur ihre Berührung ihm geben konnte. Er hatte viele Frauen gehabt, aber keine hatte sein Herz berührt. Außer Jolande. Wieder schluchzte er auf. Sie war sein Licht gewesen in dieser dunklen Welt. Er würde es nicht aushalten ohne sie, er würde diese Küche in Lucca und seinen Vater nicht ertragen können ohne die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihr.
Wie er diesen Hof hasste, diesen Conte, die Menschen um ihn herum. Und seinen Vater, ja, den hasste er auch. Er, Benedetto, war kein Koch und würde nie ein Koch sein, selbst wenn man drohte, ihn zu vierteilen. Er hatte andere Talente, er konnte Flöte spielen und singen, und die Zigeuner hatten ihm beigebracht, beim Kartenspiel zu gewinnen. Auch im Reiten und Jagen war er gut. Aber sein Vater, der in ständiger Angst lebte, vom Grafen verstoßen zu werden, hatte in ihm immer seinen Nachfolger gesucht und vor seinen mangelnden Fähigkeiten als Koch die Augen verschlossen. Was nicht sein durfte, konnte eben auch nicht sein. Eine einfache Art, die Welt zu betrachten, war das, dachte Benedetto und lachte bitter auf. Wie oft hatte er versucht, mit Gianni zu sprechen, damit er ihn gehen ließe. Er wollte bei Jolande sein, mit ihr leben und umherziehen und die Welt sehen. Das würde nun niemals geschehen. Sein Herz war gebrochen und mit ihm sein Freiheitsdrang. Er würde nach Lucca zurückgehen, morgen schon, er würde ein guter Sohn sein und Kartoffeln schälen und Hühner ausnehmen und darauf warten, dass er alterte und starb. Voll Selbstmitleid fing Benedetto an zu weinen. Dann wurden seine Glieder auf einmal schlaff, und sein Kopf sank auf die Tischplatte. Er war eingeschlafen.
»Wo ist er, Mario?«
Martini war sichtlich in Eile. Der Wirt deutete mit dem Kopf nach draußen.
»Beim Hühnerstall liegt er. Und schläft tief und fest. Bei dem, was er heute alles getrunken hat, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis er aufwacht.«
»Du hast ihn nach draußen gebracht?«
Der Vogt schien entsetzt. Die Antwort des Wirtes
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