Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
spürte, obwohl noch so jung, dass sie Erfüllung finden würde in der Welt des Wohlgeschmacks, zwischen Braten und delikaten Soßen, inmitten kreischender Mägde und betrunkener Knechte. Dieses Mädchen trug eine Gabe in sich, das fühlte der alte Küchenmeister, dieses Kind konnte besser riechen und schmecken als die gesamte Dienerschaft zusammen.
»Also Fasan.«
Die Worte ließen Gianni aus seinen Gedanken hochschrecken. Er nickte, um Zeit zu gewinnen und um sich zu sammeln. Dann ging er, die Arme immer noch weit geöffnet, auf das Mädchen zu und umarmte es herzlich.
»Du bist mir mehr als ein Sohn, mein Kind«, flüsterte er leise an ihrem Ohr, und als er sich abwandte, sah Bella Tränen über seine pausbäckigen Wangen laufen. Sie legte den Kopf etwas schief und zog ihre Stirn in Falten, was den Koch schnell zum Lachen brachte.
»Schau mich nicht an wie ein dummes Huhn«, sagte er betont barsch zu ihr, »überleg dir lieber, womit wir das Tier füllen und welcher Wein unserer Contessa dazu munden könnte. Also los. Ihr alle – an die Arbeit.«
Bella schloss die Augen. Was würde sie, wenn sie Contessa Donata wäre, heute Abend erwarten? Etwas Feines, gewiss, etwas Raffiniertes, der Jahreszeit angepasst, und es durfte auf keinen Fall hoffärtig sein. Also kein Tand, keine übermäßige Dekoration der Speisen. Ihr Blick wanderte durch die Küche. Es war ihr eine Ehre, heute zum ersten Mal für diese stille, schöne Frau zu kochen, und sie spürte ihren Herzschlag schneller werden. Ruhe bewahren. Sie hatte viel gelernt von Gianni, und heute Abend musste sie sich beweisen. Entschlossen raffte sie ihre Röcke und ging in den Kräutergarten, wo Josepha bereits auf sie wartete.
»Wir müssen etwas ganz Besonderes kochen heute Abend«, redete Bella beschwörend auf ihre Freundin ein, »… und wir brauchen Kräuter, die für Nase und Gaumen unwiderstehlich sind.«
Wieder legte sie ihren Kopf ein wenig schief.
»Was meinst du? Welche Mischung empfiehlst du mir?«
Josepha blickte auf die Sträußchen, die sie gebunden hatte. Um diese Jahreszeit war die Auswahl an frischen Kräutern nicht so groß. Josepha machte eine entschuldigende Geste und erwiderte den Blick des anderen Mädchens mit erwachsenem Ernst. Bella wusste, dass sie alles verstand, alles aufnahm. Allein – sie konnte nicht sprechen. Sie hatte alle Worte im Kopf, und sogar im Traum redete sie, erzählte und sang, hatte eine Stimme. Aber hier, im Kräutergarten, war ihr Mund wie mit einem Eisenriegel verschlossen. Und würde es wohl auf ewig sein. Sie roch nacheinander an den Bouquets und reichte schließlich eines an ihre Freundin weiter.
»Sehr gut. Das ist … ausgezeichnet.«
Bella drückte Josepha im Überschwang einen Kuss auf die Wange und eilte in die Küche zurück, wo Benedetto missmutig am Tisch saß und Gemüse zerteilte. Eine der Mägde stand an der Feuerstelle und röstete einen großen Knochen, während Gianni mit Brot, Zwiebel und Wein auf einem Schemel am großen Arbeitstisch saß und gedankenverloren in den Garten starrte, wo seine Tochter Kräuter zupfte. Bella blickte sich suchend um. Wo war Gabriella? Von ihrer alten Großtante war nichts zu sehen.
»Bella? Bella!«
Alle Blicke richteten sich auf die Pforte zum Kräutergarten, die gerade mit einem lauten Geräusch zugefallen war. Einen Moment später stand Rocco in der Tür, wie so oft außer Atem. Seine Wangen glühten vor Aufregung. Er nahm seine Mütze ab und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Bella?«
Seine Augen suchten die Küche nach dem Mädchen ab.
»Rocco.«
Bella trat ihm ruhig entgegen und nahm das Tuch von dem Korb, den er mit sich führte.
»Oh! Kalmare!«
Sie zog einen der nass glänzenden Kopffüßer aus dem Korb. Der Fang war ganz frisch. Die im Verhältnis zum Rest des Körpers riesigen tellerförmigen Augen des Tieres leuchteten, und Bella strömte der Geruch des Meeres entgegen, als sie ihre Nase dem kalten, glatten Leib näherte. Interessiert betrachtete sie die Tentakel des Tintenfisches und seinen papageienartigen Hornschnabel. Selbst jetzt, im Tod, schimmerte der Körper wie eine Perle.
»Ja, Bella, Kalmare – von allerbester Qualität.«
Roccos Augen strahlten.
Etwas ungelenk stand er in der großen Küche; es war ihm nicht recht, dass alle anderen sie beide beobachteten. Aber egal. Seiner kleinen Freundin und ihm würde gewiss etwas einfallen, um diese Tiere in eine Köstlichkeit zu verwandeln. Rocco wusste, dass Bella heute Abend
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