Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
sich mit den Schürzenzipfeln die Augen trocknete und versuchte, dem Kind zuzulächeln.
»Gabriella? Was ist mit Gabriella«, schrie Bella, »so sagt doch, was ist mit ihr?«
»Ich bin hier, meine Kleine.«
Wie aus weiter Ferne hörte Bella die Worte der alten Frau. Sie ist hier, dachte sie, sie lebt. Und ihr Herz schlug auf einmal nicht mehr ganz so laut. Als sie sich in die Richtung wandte, aus der die Stimme gekommen war, erschrak sie. Gabriella stand in der Tür zum Garten; sie trug ihre besten Kleider und hatte einen großen kastenförmigen Korb neben sich stehen.
»Du willst gehen?«, rief das Mädchen entsetzt und lief auf Gabriella zu. Beim Näherkommen sah sie, dass ihre Tante geweint hatte.
»Ja«, sagte Gabriella leise, »ich gehe, aber du kommst mit mir, meine Kleine. Bereite das Mahl für die Gräfin. Und dann fahren wir. Der Wagen wartet bereits auf uns.«
Ungläubig blickte das Mädchen in das gute, von Falten zerfurchte Gesicht und machte sich auf weitere Erklärungen gefasst. Doch die alte Frau nickte nur und hob ihre Hand zum Zeichen, wieder an die Arbeit zu gehen. Und Bella gehorchte. Wie in Trance setzten ihre Hände um, was ihr Kopf zuvor erdacht hatte. Sie spürte Rocco neben sich; es tat so gut, ihn bei sich zu wissen.
»Fertig«, sagte Gianni feierlich. Er drückte Bella kurz an sich und blinzelte ihr verschwörerisch zu. Dann machte er den Dienern ein Zeichen und schickte die kleine Karawane mit Speisen und Getränken in die Gemächer der Contessa. Der alte Koch sah ihnen nach und schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich an Gabriella, die fassungslos neben ihrem großen Korb stand und sich wieder und wieder mit der Hand über die Augen fuhr.
»Ein Jammer ist es, und du weißt das«, sagte er leise zu der alten Frau und bedeutete dem Küchenmädchen, ihnen beiden etwas Wein einzuschenken.
»Gerade jetzt müsst ihr fort, wo der Hof sie entdecken wird nach diesem Mahl …«
Wieder schüttelte er traurig den Kopf und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher.
»Und es besteht keine Hoffnung?«
Statt eine Antwort zu geben, fing Gabriella an zu schluchzen.
»Vielleicht ist sie schon tot, wenn wir ankommen. Giacomo hat ausrichten lassen, heute sei schon der dritte Tag.«
»Und das Kind?«, fragte Gianni besorgt. Die Alte bekreuzigte sich.
»Dem Himmel sei Dank. Der Kleine ist wohlauf.«
Gianni brummte leise, dann nahm er noch einen Schluck. Die Weiber geben ihr Leben für ihre Kinder, wo ist da der Sinn?, dachte er. Mit Grauen erinnerte er sich an Benedettos Geburt. Es hatte lange gedauert, und ohne die Kunst der Hebamme hätte es seine Carlotta nicht geschafft … Gut, dass sie nicht mit ansehen musste, dass sie sich für einen Tunichtgut die Seele aus dem Leib geschrien hatte. Seufzend stand er auf, stellte den Holzbecher ab und ging auf Gabriella zu, die ihn fragend ansah. Er nahm sie in den Arm, das hatte er noch nie getan, und drückte sie fest an sich. Dann flüsterte er leise an ihrem Ohr:
»Bitte kommt schnell wieder. Ich brauche Bella. Ohne sie bin ich verloren.«
Donna Donata bedeutete ihrer Dienerin, die Tür zu öffnen. Die beiden Diener kamen lautlos in das Gemach geschlüpft und stellten wie gewohnt die Speisen und Karaffen auf den kleinen chinesischen Tisch, der sich nahe dem Kamin befand. Sie wollte sich schon setzen, als sie die beiden jungen Menschen bemerkte, die vom Dunkel der unbeleuchteten Galerie fast verschluckt wurden. Fragend blickte sie in ihre Richtung. Das waren der Ziehsohn des Kochs, Rocco, und das Mädchen, das sie schon oft im Küchengarten gesehen hatte. Die Kleine war viel mit Giannis stummer Tochter zusammen. Donata bemerkte, wie fasziniert der junge Bursche sie anblickte, und lächelte flüchtig. Dann winkte sie die beiden mit einer ruhigen Geste herein.
»Was wollt ihr in meinen Gemächern? Hier ist nicht euer Platz. Die Diener kümmern sich um mein Mahl.«
Sie setzte sich und genoss das Aroma, das von den Speisen ausging.
»So sprecht doch endlich.«
Während sie den Weinpokal zum Mund führte, gab Rocco der wie erstarrten Bella einen kleinen Stoß, sodass diese unwillkürlich einen Schritt nach vorn machte. Er räusperte sich. Wochenlang hatte er sich darauf gefreut, das Wort an diese schöne Frau richten zu dürfen, und er wollte keinen Fehler machen.
»Nun?«
Die Gräfin nahm noch einen Schluck Wein.
»Sua Nobiltà. Dies ist Magdalena. Sie hat heute zum ersten Mal für Euch das Mahl bereitet. Um Euer Urteil zu hören, ist sie
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