Das Geheimnis der Götter
Schwestern nahmen die Deckel von den Gefäßen ab und sprachen die Worte der Verehrung des Falken, des Schakals, des Menschen und des Pavians. So würden neue kleine, noch im Werden befindliche Organe in der Mumie des Iker entstehen.
In diesem Augenblick bildeten die drei Osiris, der mineralische und metallische, der pflanzliche sowie der menschliche eine Symbiose. Ab sofort waren sie
unzertrennlich und würden entweder gemeinsam auferstehen oder untergehen.
Nur der Pharao und der Kahle verließen bei Einbruch der Nacht das Haus des Lebens. Der Älteste der Bruderschaft rief die ständigen Priester und Priesterinnen zusammen und verkündete ihnen den Beginn der großen Mysterienfeiern des Monats Khoiak.
»Wurde denn nicht die versiegelte Schale geraubt?«, fragte Bega erstaunt.
»Der König hat die zweite im Tempel von Medamud gefunden. Jetzt ist alles für die Wiedergeburt von Osiris bereit.«
MONAT KHOIAK
Dritter Tag (22. Oktober)
ABYDOS
Die sieben Priesterinnen der Göttin Hathor wählten die schönsten Datteln aus. Einen Teil davon legten sie auf eine silberne Platte; aus den anderen pressten sie den Saft und machten ihn zu einem süßen Wein, der die wiederbelebenden Lymphen des Osiris darstellen sollte.
Als sie damit fertig waren, übergaben sie die Früchte und den süßen Wein Sesostris. Nach dem Morgenritual in seinem Tempel der Millionen Jahre würde er ins Haus des Lebens zurückkehren und den drei Osiris die Opfergabe reichen.
»Dies ist die Verkörperung des segensreichen Feuers. Möge es Euch dabei helfen, mit dem neuen Jahr im Herzen des Mysteriums neu geboren zu werden.«
»Hier vollzieht sich die für immer verborgene geheime Arbeit«, fügte Isis hinzu. »In deinem lichten Körper wird die Sonne aufgehen, Osiris.«
Für die erste feste und flüssige Nahrung der drei Osiris war nun gesorgt. Jetzt musste der Kahle den Zug der gemästeten Rinder und ihre Schlachtung vorbereiten, die für den sechsten Tag des Monats Khoiak vorgesehen war.
Isis blieb allein bei Iker.
»Ein zeitweiliger Priester macht mir große Sorgen«, vertraute Nephthys dem Kahlen an. »Ich gebe zu, dass ich mich zu ihm hingezogen fühle, und er hat mich gerade gefragt, ob ich seine Frau werden will. Er ist ein ausgezeichneter Fachmann, wird von allen geschätzt, und Ihr habt sogar vor, ihn als ständigen Priester aufzunehmen.«
»Um wen handelt es sich denn?«
»Um Asher, diesen groß gewachsenen, verführerischen Mann. Mit sanfter, freundlicher, ja beinahe zärtlicher Stimme hat er mir gestern einen schrecklichen Vortrag über die Frauen gehalten. Nicht eine ist in seinen Augen einer Priesterin würdig, und er vertritt die Ansicht, die Frau hat sich dem Mann ohne Einschränkungen zu unterwerfen. Ich habe so getan, als pflichtete ich ihm bei.«
»War das ein Scherz, oder hat er es ernst gemeint?«
»Ich glaube nicht, dass er gescherzt hat, aber das werde ich noch herausfinden.«
»Sei sehr vorsichtig! Wenn es sich bei Asher um einen Schüler des Propheten handelt, bist du in großer Gefahr.«
»Wenn es so ist, wird er mich zu seinem Herrn führen.«
»Warum sollte er das tun?«
»Weil ich ihm die Geheimnisse des Hauses des Lebens enthüllen kann.«
»Kümmern wir uns als Erstes um deinen Schutz.«
»Der vor allem nicht sichtbar sein darf! Sonst wird Asher misstrauisch, und mein Vorhaben muss scheitern.«
»Bist du dir denn wirklich der Gefahren bewusst, die du da auf dich nimmst?«
»Das Böse auszulöschen, das sich in Abydos eingeschlichen hat, ist oberstes Gebot. Und hier bietet sich endlich eine Gelegenheit dazu.«
»Es gäbe aber auch noch einen anderen, weit weniger gefährlichen Weg«, meinte der Kahle. »Wir könnten noch einmal die Zulassungsunterlagen dieses Asher prüfen. Warte ab, was ich dabei entdecke, ehe du deinen Verehrer auf die Probe stellst.«
Nephthys dachte an das Leid und den Mut ihrer Schwester Isis. Wenn sie dabei auch ihr Leben aufs Spiel setzen musste –
sie wollte dazu beitragen, dass nichts und niemand die Auferstehung von Iker bedrohen und verhindern konnte.
MONAT KHOIAK
Vierter Tag (23. Oktober)
MEMPHIS
An Wesir Sobeks düsterer Miene konnte General Nesmontu unschwer erahnen, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.
»Hat es wieder einen Anschlag gegeben?«
»Nein, aber das Gericht hat sein Urteil gesprochen.«
»Du willst mir doch nicht etwa sagen…«
»Höchststrafe.«
»Sehotep hat doch keinen Mord begangen!«
»Das Gericht ist der Meinung, die
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