Das Geheimnis der Haarnadel
in jener Laube arbeitete, würde ich es ja bei Tage tun und nicht in der Nacht.
Zumindest die folgende Nacht verging ohne jeden bösen, vorahnungsreichen Traum. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen überließ mich Mr. M. für einige Augenblicke der Zeitung, wo ich nichts fand als Anzeigen für Häuser, die einfach nicht gut genug waren. So war ich denn in genau der richtigen Verfassung, als er zurückkehrte und mich fragte, ob ich noch einen weiteren Blick auf das Backsteinhaus von 1760 werfen wolle. Wir machten uns auf den Weg, und Jane begrüßte uns in der üblichen Manier. Das verstärkte noch mein Gefühl, daß sich in diesem Haus eine schlechte Aura einfach nicht halten konnte. Mr. M. leistete ihr ein Weilchen Gesellschaft, zweifellos um ihre Freundschaft noch weiter zu festigen, und es war mir gar nicht unrecht, daß, wenn wir wirklich in diesem Haus wohnen wollten, diese Aufgabe nicht mir zufiel. »Marmor ist mein Metier, nicht Mörtel«, murmelte ich vor mich hin (denn ich finde, die Alliteration wird heutzutage bei weitem zu gering geschätzt), als ich hinaus zum Marmor der Laube schlenderte.
Nichts Gespenstisches konnte sich hier halten. Den Jahren des Gleichmuts, der erhabenen Weite, konnte offensichtlich eine solche Lappalie wie ein egoistischer Selbstmord nichts anhaben. Und kaum hatte ich mich niedergelassen, trat schon Mr. M. hinzu, um, wie ich annahm, eine Entscheidung von mir zu fordern. Ich war nur zu bereit dazu – genau genommen hatte ich sie ja bereits gefällt.
»Ich bin voll und ganz geneigt«, sagte ich, als er an der Stelle anlangte, wo ich auf dem prachtvollen steinernen Sitze Platz genommen hatte, »meine natürliche Abneigung gegen ein felo-de-se hintanzustellen, wenn ich dadurch Zugang zu einer so außerordentlich kultivierten Umgebung erhalte, wie dieser Ort sie mir bietet. Ich nehme an, wer immer das Erbe dieses Anwesens angetreten hat, wird nur zu froh sein, jemanden wie uns zu finden, der bereit ist, das Haus wieder salonfähig zu machen. Da die Polizei den Fall abgeschlossen hat, will auch ich gern, was diesen kleinen (und in dieser Hinsicht ja nicht unglücklichen) Unfall angeht, die Vergangenheit ruhen lassen.«
»Aber ich kann mich nicht entsinnen, daß ich jemals gesagt hätte, der Fall sei abgeschlossen.«
Das klang nicht nur übertrieben selbstsicher, sondern, schlimmer noch, bedrohlich. Sollte ich – nachdem ich beträchtliche Anstrengungen unternommen hatte, den Wünschen des alten Meisters entgegenzukommen und den ganzen Vorfall aus meinen Gedanken zu verbannen – sollte ich von neuem entdecken müssen, daß alles umgeworfen war, durcheinander und verwirrt, und daß womöglich sogar die Tatsache, daß wir dieses Haus mieten würden, wieder fraglich war? Ich war so verärgert, daß ich unachtsam genug war zu sagen: »Das verstehe ich nicht!«
Und zur Antwort bekam ich: »Ich werde es Ihnen erklären, oder besser gesagt, ich werde Ihnen die Erklärung bringen. Glauben Sie mir, es wird Sie interessieren, und ich brauche Ihre Mitarbeit.«
Meine vorübergehende Verärgerung begann einem gewissen Interesse zu weichen, denn ich kann niemandem eine Bitte um Hilfe abschlagen.
»Wenn Sie bitte aufstehen und mitkommen würden.«
Ich erhob mich. Der Alte zog aus seiner Aktentasche ein Stück gefaltenen Zeitungspapiers mittlerer Größe, legte es auf den steinernen Tisch zu meiner Rechten und wandte sich zum gartenseitigen Eingang der Laube. Er ging hindurch und bog dann scharf nach rechts. Pflichtergeben war ich ihm gefolgt. Die hohe, dichte Hecke der Laube lag nun zwischen uns und dem Sitzplatz mit den beiden Tischen. Da es sich um eine Buchenhecke handelte, hatten,- auch wenn die frischen Blätter noch nicht voll entfaltet waren, die alten, wie es so schön bei dieser Baumsorte ist, wenn man sie für Hecken verwendet, die Freundlichkeit besessen, noch in genügender Zahl hängenzubleiben, so daß sie unverminderten Schutz boten. Der Gedanke drängte sich mir auf, wie sehr diese verschrumpelten Blätter, die noch immer auf ihrem Posten waren und ihre Pflicht taten, den treuen und leider heute fast ausgestorbenen alten Dienern glichen, die, auch wenn es an der Zeit war, in den Ruhestand zu treten, noch im Haushalt blieben und gefällig waren, bis ihre Nachfolger hinreichende Kenntnisse erworben hatten, so daß keine Unterbrechung der uralten Routine eintrat. Die ineinandergeflochtenen Äste waren auch – trotz der Klage des Vorbesitzers, von der berichtet wurde – an
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