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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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überließ er es mir, den Blick schweifen zu lassen, und versank wieder in sein Brüten über das Naheliegende, dem von jeher sein wahres Interesse galt.
    Als ich schließlich, nachdem ich mich noch einmal gründlich umgesehen hatte, zu ihm zurückkehrte, hatte er selbst das Starren in den benachbarten Garten aufgegeben. Er lag auf den Knien und rappelte sich auf, als ich hinüberkam. Einen Moment lang durchzuckte mich ein Schrecken. War es ein weiterer Anfall von Atemnot, wie jener, der ihn befallen hatte, unmittelbar bevor wir unseren Aufstieg zu jenem luftigen Ort beendet hatten, an dem wir uns auch jetzt wieder befanden? Ich fand ihn vor, wie er sich eben aus einer knienden Position erhoben hatte, wobei er die Ellbogen auf die Brüstung gestützt hatte. Doch auf meine besorgte Frage antwortete er nur in typischer Mycroft-Manier: »Das Knien ist eine heute viel zu selten praktizierte Methode zu ruhen und den Verstand zu erfrischen. Und sehen Sie, was ich für einen seltsamen Gegenstand gefunden habe, indem ich mich buchstäblich daraufkniete, hier, wo er unter der Einkerbung der Brüstung lag. Was meinen Sie, was kann das sein?«
    Auf diese Frage, ob ich wisse, worum es sich handelte, erwar tete er von mir ein herzlich ahnungsloses aber doch interessiertes »Nein«. Doch war ich in der Lage, ihm auf seine Frage umgehend und mit nicht unbeträchtlicher Freude darüber, daß er mich nicht in Verlegenheit bringen konnte, eine Antwort zu geben.
    »Es ist ein sogenannter Spanner«, antwortete ich. »Ich habe bei Gelegenheit gesehen, wie Gärtner solche Vorrichtungen benutzen, um Drahtspaliere anzubringen, an denen Kletterpflanzen emporranken sollten. Im Grunde ist es ein Hebel mit Gelenk – funktioniert wie ein gefederter Schuhspanner.«
    Auch seiner zweiten Frage: »Was meinen Sie, wie er hier hinkommt?« konnte ich mich stellen. Ich sah mich um und bemerkte, daß die verwitterten alten Ziegel unter dem Ansturm der Herbststürme jene Zeichen zeigten, von denen Mrs. Sprigg uns unten erzählt hatte. Man hatte sie mit Drähten gesichert und befestigt. Ich deutete darauf und erklärte: »Dafür ist er verwendet worden, da bin ich mir sicher.« Und dann schlug ich, da ich allmählich hungrig wurde, vor, daß wir uns einmal näher ansehen sollten, was wir vom Hotel mitbekommen hatten.
    »Es ist ein wenig windig hier oben, und dabei heiß«, antwortete er. »Wir wollen hinunter in den Garten gehen.«
    Das war ein vernünftiger Vorschlag, und ich stimmte zu. Einen Augenblick lang drehte Mr. M. den Spanner noch zwischen den Fingern, und ich dachte, er wolle ihn mit hinunter nehmen. Aber am Ende beschloß er wohl doch, ihn zu lassen, wo er niemanden störte. Denn, nachdem unser Abstieg uns ans obere Ende der Treppe gebracht hatte und wir wieder nebeneinander hergehen konnten, hielt er nur das Aktentäschchen, ohne das er sich so nackt fühlen würde wie ich mich ohne Krawatte, in seinen Händen.
    Als wir wieder zu Mrs. Sprigg hinunterkamen, gewährte sie ihm seine Bitte, in ihrem Garten unser Picknick veranstalten zu dürfen, mit Freuden und bestand darauf, unserem Proviant noch eine große Flasche einheimischen Apfelweins hinzuzufügen, um, wie die Bankiers sagen, unsere Balance flüssig zu halten. Man konnte sagen, der Tag entwickelte sich prächtig.
    Aber natürlich brachte Mr. M. es nicht fertig, sich sogleich an der offensichtlichen Stelle, die ich auf den ersten Blick als idealen Picknickplatz erkannt hatte, zum Essen niederzulassen. Obwohl es hier keine Laube gab, hatte dieses Haus, genau wie sein Zwilling auf der anderen Straßenseite, Rasenbänke und Sitzplätze auf der sonnigen Seite der Eibenhecken. Doch fast wie ein Jagdhund mußte er zunächst schnüffeln und alles auskundschaften, bevor er Ruhe finden konnte. Und so gelang es ihm natürlich zu guter Letzt – und das geschah ihm ganz recht –, an die unattraktivste Ecke selbst dieses attraktiven Ortes zu gelangen. Er spürte den Ofen auf, in dem der Müll verbrannt wurde, hübsch hinter der dichtesten Eibenhecke, ganz am Ende des Gartens an der Umfassungsmauer aus Backstein versteckt. Und dann? Nun, da Sie ihn kennen, werden Sie mir glauben, also brauche ich nicht nachdrücklich zu versichern, daß er das fertigbrachte. Er stocherte in den Abfällen herum, »einfach um«, wie er zu sagen pflegte, »hinter das Leben in diesem Hause zu kommen« – diese abscheuliche archäologische Leidenschaft, die niemals etwas so sehen kann, wie es ist, sondern es

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