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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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Praxis umsetzen können, hätte mir mein Leben als Geschäftsmann nur die Zeit dazu gelassen) gelten eher der Plastik. Wenn Sie mir gestatten, werde ich meinem Chauffeur auftragen, Ihnen einige Masken zu zeigen, die ich einem Freund als Geschenk für eines Ihrer großen Museen zu überreichen gedenke.<
    Unser Schriftführer entschuldigte sich und kehrte nach einigen Minuten mit einem Chauffeur in zitronengelber Uniform mit Silberknöpfen zurück, der einen großen Karton trug. Der Kontrast zwischen Herr und Diener einerseits, und dazu das, was aus der Schachtel hervorkam (einem großen, weißgelackten Pappkarton von der Art, in der man einer Primadonna Blumensträuße schickt), sorgte für die Erregung, die wir uns erhofft hatten. Dieser Abend, das spürten wir nun, war mit Sicherheit unser bester, der Höhepunkt. Die Einführung hätte nicht symbolischer und nicht angemessener sein können. Denn in dem jungfräulich wirkenden Karton zwischen Lagen von Kreppapier befanden sich die beiden angsteinflößendsten Exemplare jener merkwürdigen Kunst – der dramatischen Holzschnitzerei der Schwarzafrikaner –, die ich je gesehen habe. Nichts von der augenfälligen Lebensfreude der Bantu-Körper und ihres Rhythmus fand ein Echo oder Abbild in diesen entsetzlichen Skulpturen. Die Inspiration schien einem Alptraum zu entspringen, einem Traum aus Blut, Angst und Grausamkeit. Gewiß, die Schnitzereien waren von höchster Vollendung – was sie mitzuteilen hatten, das teilten sie ebenso eindrucksvoll mit, wie Phidias dem Geist olympischer Ruhe in kaltem Marmor Gestalt verliehen hatte. Und die Ausstaffierung mit echtem Haar und echten Barten, grau und knotig, ließ sie nicht komisch, sondern nur um so furchteinflößender erscheinen. Einer hatte zwischen den Zähnen einen nicht allzu gut präparierten Kinderschädel; das Gebiß des anderen war eingerahmt von den Fingerknochen eines erwachsenen Menschen.
    >Das sind echte Stücke. So vieles, was Sie hier in Ihren Museen haben, sind, wie die Amerikaner zu sagen pflegen, Spezialanfertigungen. Sie werden schon bemerkt haben, daß diese hier benutzt worden sind. Es sind wirkliche rituelle Gegenstände. Dies hier<, und er hielt inne, um durch sein Zögern den Worten, die er wählte, nur um so mehr Nachdruck zu verleihen, >das, womit die Bärte und das Haar »präpariert« sind – nun, das brauchen wir, damit unser Zauber funktionierte.<
    Er hob die eine Maske, die mit dem Kinderschädel zwischen den Zähnen, empor und hielt sie sich vor das Gesicht. Aus ihrem abscheulichen Mund erklang ein Ton, der ganz zu ihrem Äußeren paßte. Es war ein Ton, der uns alle mit Verachtung zu überschütten schien. Es war die Art von Kunstwerk, die auf sämtliche Sinne einwirkt. Denn die Krönung, le succès fou, jener Vorführung war, daß die Masken, nun da sie der Wärme des Raumes ausgesetzt waren, einen Geruch abzugeben begannen, der die Andeutungen und Erzählungen ihres Vorführers beinahe greifbar lebendig werden ließ.
    Dann legte er seine entsetzliche Verkleidung ab, sein breites, strahlendes, schwarzes Gesicht kam wieder hervor, wandte sich mir zu und sagte mit vollkommen teilnahmsloser Stimme: >Natürlich, Sir, gehen sie zu weit. Der Künstler und jeder, der sich mit ihm einläßt, wird stets den Vertreter der praktischen Moral schockieren, und ein solcher, Sir, bin ich, ich kann es nicht ändern. Große Kunst, wie diese hier, hat ihren Platz. Doch sie hat nicht das Recht – wenn ich das Wort des lateinischen Epigrammatikers paraphrasieren und abwandeln darf –, anderer Leben zu verkürzen, um das eigene zu verlängern! Ich stehe voll und ganz hinter unserer wunderbaren Kultur. Doch ich habe als Mann meiner Zeit – und was heißt das anderes als ein Mensch der herrschenden kultivierten Sitten zu sein? – anzuerkennen, daß die Kunst nicht vollkommen frei sein kann, um nur um der Kunst willen zu existieren; ebensowenig können wir – so interessant sie vom anthropologischen Standpunkt auch sein mag – die Tradition um jeden Preis bewahren.<
    Wir waren vollkommen ratlos, wie wir diesen Wandel in seinem Tonfall deuten sollten. Aber jeder von uns hatte viel zuviel Angst vor den anderen, als daß er zu erkennen gegeben hätte, daß die wohlgesetzten Worte unseres schwarzen Mannes uns allmählich in Verwirrung brachten. Worauf in Teufels Namen mochte er hinauswollen?
    Seine nächste Bemerkung erstaunte uns nur um so mehr: >Also nahm ich den Glauben an. Man muß mit der Zeit gehen.<
    Der

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