Das Geheimnis der Haarnadel
kompetenten Erpresser ausgenommen würde. Ich bin sicher, das war der einzige Grund, warum ich damals nicht in der Richtung weiterging, in die, wie ich nun sehe, die Ereignisse und meine eigenen Anlagen mich drängten.
Denn wir hörten nicht auf, dem Schockierenden nachzujagen. Aber der nächste Besucher sollte unser letzter sein. Er brachte diesen ganzen albernen Unsinn eines modernen Clubs der Libertins zu Fall. Unser Schriftführer, der mit einem Fleiß zu Werke ging, der ein besseres Ziel verdient hätte, setzte seine Jagd nach kuriosen Gestalten fort. Er zog einige Nieten, zugegeben, doch eines Tages betrat er in bester Stimmung den Raum.
>Schaut euch unsere Liste an<, prahlte er. >Bis heute hat unser Ganovenkatalog eine Menge Berufe zu bieten – Limey mit Gin für die Gringos; der Elsässer mit Bomben für die Bengalen; Crofts, der mit Hemmungen der Schuljungen handelt; und unser kleiner Armenier mit Koks für Arabien und am Ende für ganz Europa. Und nun kann ich euch die Krönung dieser Liste bieten.<
Auf unsere Frage: >Wer ist es?< antwortete er nur: >Wartet es ab.<
Nun, keine Frage, er sollte recht behalten. Was er entdeckt hatte, war die Krönung der Liste und zugleich ihr Abschluß.«
Milium machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Und hat unter anderem dazu geführt, daß wir drei nun hier sitzen. Ich habe den Abend damals noch genau vor Augen. Es war ein abscheuliches Loch, in dem wir uns trafen, mit häßlichen Gaslampen, über die Schirme gesteckt waren, die wie Damenhüte aus den Neunzigern aussahen. Die Lampen sorgten dafür, daß es im Zimmer ewig heiß war, und sie gaben ein leises Pfeifen von sich, wie ein asthmatischer Mops. Unser Schriftführer sollte den Gast zu uns führen, und fünf Minuten nachdem wir alle versammelt waren, öffnete sich die Tür.
Er ließ eine turmhohe Gestalt ein, die, in rehbraunes Kammgarn von feinster Qualität mit ein wenig zu elaboriertem Schnitt gekleidet, den Türrahmen ganz ausfüllte. An den Ärmeln mit zu vielen Knöpfen schauten die Manschetten eines elfenbeinfarbenen Seidenhemds hervor, die von Platin-Manschettenknöpfen mit Saphiren gehalten wurden. Die Krawatte war aus gelber Seide, die Schuhe aus Lackleder. Und, Sie werden es vielleicht schon erraten haben, die Hände und der Kopf waren pechschwarz. Es war ein Riese von einem westafrikanischen Neger. Er neigte sich leicht zu uns hinüber und begann, ohne zu warten, daß er uns vorgestellt würde: >Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Gentlemen. Mein Name ist Johnstone, Odysseus Kaled Johnstone, Zimbawbee-Ranch, Zentralkongo, und Palestrina Apartments, Pall Mall.< Dann verbeugte er sich tief und hievte seinen gewaltigen Leib zu uns herüber an den Tisch. Unser Schriftführer, der nun ebenfalls eintreten konnte, stellte uns dem gewaltigen Schwarzen vor.
Ihm brauchte man keine Hemmungen zu nehmen. Er schwang sich mit Leichtigkeit zum König der Gesellschaft auf. Er sprach von Afrika, und er meinte, er sei sicher, wir interessierten uns für afrikanische Kunst.
>Ich selbst bin leider kein Künstler< sagte er, >aber ich darf sagen, daß ich meinen bescheidenen Beitrag als Mäzen leiste; und, soweit ein Mann, der so viel beschäftigt ist wie ich, das sein kann, als Amateure.<
Als das Essen zu Ende ging, führte er uns, nur mit den Griffen zweier Tafelmesser, vor, was für seine Begriffe Rhythmus bedeutete. Wir waren alle der Ansicht, daß durch die Synkopierung der Musik unserer Zeit, wenn sie nur afrikanisch war, alle klassische Musik überflügelt worden war. Genau genommen schlich sich hier eine unserer Inkonsequenzen ein. Wir mußten sagen, daß eine Jazznummer uns mehr Freude machte als ein Lied von Brahms, doch diese echte Lebendigkeit der Wilden aus dem Kongo fiel, so fanden wir irgendwie, in unsere Kategorie des wunderbar schlechten Geschmacks. Wir saßen wie verzaubert da, während er in raschem und immer rascherem Tempo immer komplexere Rhythmen produzierte. Plötzlich warf er die Messer hin und sagte:
>Das ist nur ein schwacher Abglanz dessen, wie es wirklich klingt. Wir in Afrika wissen noch, was in der übrigen Welt längst in Vergessenheit geraten ist: das Wunderbare an der Musik ist, daß sie die akustische Darstellung, das akustische Ventil, wenn Sie so wollen, für den gesamten Rhythmus des Lebens ist. Das gehört zum Tanz dazu, und Tanz gehört zum Drama. Doch so sehr ich unsere Musik auch schätze, meine Herren, meine künstlerischen Neigungen (und ich hätte sie vielleicht in die
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