Das Geheimnis der Haarnadel
vielleicht waren einige von uns nicht einmal schockiert. Ich weiß noch, daß Sankey mit bemerkenswerter Kaltblütigkeit sagte – obwohl er wohl nicht damit rechnete, beim Wort genommen zu werden -: >Natürlich müßten wir erst einmal die tatsächlichen Zahlen sehen, aber dann sind wir, wie es an unserer Decke geschrieben steht, offen für alle Angebote. Jeder Kapitalhandel ist Ausbeutung, und ich ziehe es vor, meine Gaunereien ohne den Segen der Bischöfe zu vollziehen.<
>Sehr richtig, Sir<, entgegnete unser schwarzer Versucher und erhob sich. >Ich werde Ihnen die Zahlen der Zentralkongo-Arbeitsvermittlungs-AG zukommen lassen.< Er verbeugte sich.
Doch als er fort war, wagte keiner von uns, sich vor den Augen der anderen zu distanzieren. Sankey sagte sogar: >Wahrscheinlich ist er nur ein prahlerisches schwarzes Großmaul, aber wenn er hält, was er verspricht, dann ist das das einträglichste Abendessen, das wir jemals gegeben haben.<
Jedenfalls war es das mysteriöseste. Denn alles ging dermaßen schnell und reibungslos vonstatten, daß es uns wie eine moderne Fassung des Märchens von den drei Wünschen vorkam. Die hübsche kleine Broschüre traf ein und nannte Kapital und Umsatz der Gesellschaft. Keine Frage, Mr. Odysseus Kaled Johnstone, Palestrina Apartments, Pall Mall und Zimbawbee-Ranch, Zentralkongo, war ein echter Geschäftsmann. Unaufdringlich und effizient wurden die Einzelheiten ausgehandelt. Und er hielt noch mehr, als seine beinahe unglaublichen Worte versprachen. Pünktlich nach einem halben Jahr erhielten wir unsere Dividende für die ersten sechs Monate. Es waren fünfundachztig Prozent.
Ich habe nie feststellen können, daß Intellektuelle weniger geldgierig sind als gewöhnliche Menschen. Anfangs hatten wir nur vorsichtig kleine Summen investiert; Sankeys und mein Einsatz war, das weiß ich noch, zweitausend pro Kopf. Doch als die Halbjahresdividende ausgezahlt wurde, sah ich, daß Sankey angebissen hatte. Die übrigen Clubmitglieder – ich selbst ausgenommen – hatten übrigens nicht allzuviel freies Kapital. Beträchtliche Einkommen, doch die Sicherheiten waren in Treuhandfonds und Landbesitz festgelegt. Und ich kann Ihnen versichern, daß sie mit ihrem Einkommen nicht knauserten. Nur uns beiden stand es frei, unser Kapital – oder doch das meiste davon – zu liquidieren, und es vergingen nicht einmal anderthalb Jahre, bis wir das getan hatten. Denn die Ausschüttungen waren inzwischen auf zweihundert Prozent gestiegen.
>Mr. O. K.<, meinte Sankey und ließ sich von seiner Habgier zu einem erbärmlichen Scherz verleiten, >trägt seinen Namen zu Recht!<
Das stimmte schon – wenn man das >0. K.< mit finanziellem Erfolg gleichsetzte. Es war offensichtlich, daß nur Kapitalmangel der Ausbreitung des Unternehmens über den ganzen Kontinent im Wege stand, eines Unternehmens, dessen Einträglichkeit nur von seiner Grausamkeit übertroffen wurde. Doch Sankey sah nur den Profit.
>Wir sind in der untersten Etage eingestiegen!< sagte er mit einem Glucksen. >Wenn es in dem alten Kirchenlied hieß: »Afrikas sonnige Quellen erströmen im goldenen Sand«, dann erschien mir das immer als reine, wenn auch nicht gerade hohe Poesie. Doch wie sich nun herausstellt, waren die Prophezeiungen des Bischofs Heber verläßlicher, als er sich je hätte träumen lassen.<
Ich glaube, wir brauchten die faulen Witze, um zu verhindern, daß der weitaus üblere Geschmack dessen, was wir getan hatten, in unseren Kehlen aufstieg. Ich weiß, daß mir unwohl dabei war, sehr unwohl. Aber es war unglaublich leicht verdientes Geld. Hätten wir auch nur die Frage gestellt, ob das, was wir taten, falsch war, so hätten wir uns selbst aus unserem kleinen Zirkel verstoßen. Und das wäre sehr unangenehm gewesen – eine Art moralischer Verbannung. Denn wir hatten dafür gesorgt, daß alle, die uns kannten, uns so verachteten, daß wir ohne diesen speziellen Freundeskreis von aller menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen gewesen wären. Der sogenannte Homo sapiens bringt doch nie den Mut auf, bedingungslos eigenständig zu denken, nicht wahr?«
»Ja, Homo congruens wäre eine passendere Bezeichnung«, stimmte Mr. M. ihm zu. »Kein Zweifel, viele Menschen versuchen eigenständig zu denken – das heißt, ihre eigenen Interessen zum Maßstab zu nehmen, oder das, was sie dafür halten. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß die Resultate befriedigend sind. Vielleicht ist es ja besser so. Doch erzählen Sie weiter, erzählen
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