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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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ich frage mich, wie ist sie überhaupt auf den Gedanken gekommen, daß die Tür sich geöffnet haben könnte, was erregte ihre Aufmerksamkeit, so daß sie in diese Richtung blickte? Ein ganz anderer Sinn: ihr Gehörsinn. Nun ist das Gehör ein Sinn, der uns viele Schwierigkeiten bereitet, doch das liegt nur daran, daß wir einfach nicht bereit sind zuzuhören, wenn es zu uns spricht. Unverzüglich wenden wir uns ab und tragen unseren Augen auf nachzusehen, wovon das Gehör denn da redet. So behandelt man keinen Zeugen, und wir bekommen unsere verdiente Strafe dafür – ein Durcheinander. Genau so ist es Jane ergangen. Leider ist dies das übliche menschliche Verhalten heutzutage; unsere Augen laufen mit uns davon. Deshalb glauben wir, was wir sehen – und der Gesichtssinn straft die übrigen Sinne mit einer Verachtung, die sie nicht verdienen. Es ist nämlich verblüffend, wie viel, wie intensiv und zielgerichtet, Menschen hören können, wenn sie versuchen, das Gehörte wahrzunehmen und sich nicht nur bereitmachen zum Sehen. Und dann ist da noch der Geruchssinn, noch stärker vernachlässigt, ein Sinn, in dem ich, wie ich gleich zu zeigen hoffe, ebenfalls einen nützlichen Helfer gefunden habe. Schließlich sagen die Franzosen von einem Menschen mit großem Kunstverstand, einem, der über die Wahrnehmung der Augen hinauszugehen scheint, daß er Flair habe – die Fähigkeit, ein Meisterwerk aus einer Verkleidung, die das Auge vollkommen von der Spur abbringen würde, herauszuriechen.
    Nun, ich gehe davon aus, daß Jane irgend etwas gehört hat. Unser Freund der Inspektor konnte die Täuschung ihres Gesichtssinnes erklären. Doch als er das getan hatte, gab er sich damit zufrieden. Er versuchte nicht zu erklären, warum sie glaubte, sie habe nicht nur gesehen, sondern auch gehört, wie die Tür sich öffnete. Nachdem er bewiesen hatte, daß sie sich an jenem Tag nicht geöffnet haben konnte, kümmerte er sich nicht weiter um die andere kleine Frage, die in Wirklichkeit den Schlüssel zu allem enthielt. Er als bildender Künstler erkannte, daß es eine optische Täuschung gab; sie sah etwas, was sie mißdeutete. Wäre er stattdessen Musiker gewesen, hätte er vielleicht gefragt: >Selbst wenn sie es mißdeutete, was hat sie denn dann in Wirklichkeit gehört?< Ich glaube, wenn er sich diese Frage gestellt hätte, dann hätte er ebenso viel gewußt, wie ich erfuhr!«
    Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wenn man bedenkt, wie die Dinge sich entwickelt haben, war es, glaube ich, eine glückliche Fügung, daß sein Steckenpferd die Malerei war und nicht die Musik. In einem Punkte war ich natürlich von Anfang an im Vorteil. Ich als Amateur konnte es mir leisten, die Detektivarbeit aus purem Interesse an der Sache zu betreiben, nicht als Vertreter einer gesellschaftlichen Institution, die Verbrecher dingfest machen will. Ein Polizist kann niemals ein wirklicher Künstler auf seinem Gebiete werden«, seufzte er, »denn bestenfalls ist es ein schwacher Versuch, die Dinge noch aufzuhalten, die schon zu weit gegangen sind, hinzurichten, weil man nicht heilen kann, niederzuwerfen, ohne zu verstehen. Polizisten können nichts verhindern, weil sie im Grunde nicht an den großen Fragen aller Detektivarbeit interessiert sind – den Motiven der Menschen, den Begierden der Menschen und an der größten aller Tragödien, der Unermeßlichkeit unserer Wünsche und unserer armseligen, unzureichenden, hoffnungslosen Mittel. Ich weiß, das klingt wie eine überflüssige Moralpredigt, aber glauben Sie mir, gerade weil dies meine Grundannahmen waren, als ich mich mit der Detektivarbeit zu beschäftigen begann, bin ich in einer Reihe von Fällen zu tieferen Einsichten gekommen als meine berufsmäßigen Kollegen. Und mehr noch, genau dieser Einstellung verdanke ich den Standpunkt, von dem aus ich den vorliegenden Fall in seiner Gesamtheit überschauen konnte.
    Mir mit meinem rein wissenschaftlichen Interesse an der Detektivarbeit war dieser Punkt aufgefallen – dem wir so viel Zeit widmen mußten, weil alles andere sich darum dreht –, die Frage unserer Sinnes Wahrnehmung, wie leicht wir uns täuschen lassen, wenn wir ihre Signale zu entziffern versuchen. Und ich habe die akustische Wahrnehmung hervorgehoben, weil sie für die Schwierigkeiten, die sie bereitet, berüchtigt ist. Fledermäuse haben ein perfektes binaurales Gehör – das heißt, sie nützen ihre Ohren so, wie auch wir es tun sollten, wie wir in Wirklichkeit aber nur unsere

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